Aufmüpfiger

Dieses Foto zeigt den streitbaren Bildhauer Alfred Hrdlicka und Stefan M. Gergely
beim Fotoshooting für eine Kunstausstellung mit dem Titel „Konfrontation“.
Inhalt:
- Sind Aufmüpfige und Querköpfe nur getarnte Querulanten?
- „Wir werden uns am Skikurs waschen, wir sind ja keine Säue“
- Ordinarien gegen Marxisten
- Es lebt fast jeder Journalist, von Skandalen und von Zwist
- Als Kammerangestellter gegen Zwentendorf . . .
- . . . und für Bio-Richtlinien
- 1987: Abgang aus Protest
- 1997: Der „Sperrstunden-Töter“
- 1999: Mit dem Schalk im Nacken
- 2000: Kunst und gut
- 2006: Aktion Stephansplatz
- 2010: Keine Mauern durchs Lokal
Sind Aufmüpfige und Querköpfe
nur getarnte Querulanten?
Jede offene Gesellschaft lebt davon, dass möglichst viele Menschen aktiv an ihr teilhaben, sich für eine Sache engagieren oder gegen vermeintlichen Missstand auftreten.
Schweiger und Mitläufer schaden. Sie ecken zwar seltener an als die den Mund aufmachen.
Aber ein mutiger Querkopf ist mir allemal lieber als ein feiger Hasenfuß – auch wenn die Differentialdiagnose zwischen kritischen Querdenkern und fanatischen Querulanten nicht immer einfach ist.
Die letztgenannten können sich zwar auf Plattformen sogenannter Social Media faktenbefreit in Szene setzen und massenweise Follower generieren.
Doch spätestens die schrillen Auftritte von Coronaleugner:innen während der Corona-Pandemie sollten klar gemacht haben, dass man die veröffentlichte Deutungshoheit keinesfalls den Verschwörungsphantasten überlassen darf, und das schon gar nicht, wenn es um Maßnahmen zum Schutz der großen Mehrheit geht, die wissenschaftlich zumindest evident sind.
Ja, Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit sind hohe Güter. Aber lautstarke Aufrufe zur Gefährdung anderer (oder zur Verweigerung von Maßnahmen, die andere vor Krankheit schützen) sind nicht durch diese Grundrechte gedeckt:
Jede Freiheit des einen endet bekanntlich dort, wo die Freiheit des anderen beginnt. Dieser Grundsatz darf nicht kampflos aufgegeben werden. Er gilt auch dann, wenn die Grenzen im Einzelfall verschwommen wirken und staatliche Eingriffe in Grundfreiheiten umstritten sein mögen.
Dessen ungeachtet hat meines Erachtens jeder die Pflicht, am öffentlichen Diskurs darüber aktiv teilzunehmen. Im folgenden berichte ich über einige meiner „Aufmüpfigkeiten“. Manche von ihnen zeigten zwar keinen Erfolg. Aber das war für mich keine Niederlage:
Macht und Mehrheit akzeptieren zu müssen, entwertet ja nicht Mut und Motivation, gegen den Strom zu schwimmen und für Änderungen einzutreten, solange es dafür gute Gründe gibt.
„Wir werden uns am Skikurs waschen,
wir sind ja keine Säue“.
Aufmüpfig war ich schon im zarten Alter von 13 Jahren. Unser Klassenvorstand in der Unterstufe des Rainergymnasiums in Wien-Margareten lehrte Deutsch und Turnen. Sein Unterricht war gespickt von Schimpfwörtern und persönlichen Beleidigungen. Ich beschloss, sie schriftlich zu dokumentieren. Nachstehend ein Auszug:
Eines Tages zeigte ich die Mitschrift meinen Eltern. Die Mutter nahm sie und legte sie der Schulleitung vor. Hat es mir geschadet? Im Zeugnis des Schuljahres 1963 / 64 bekam ich in Betragen ein „sehr gut“ und in Leibesübungen ein „gut“ (was mich im Rückblick positiv überrascht, denn für Sport habe ich weder Talent noch Neigung). Warum in Deutsch ein Dreier stand, kann ich nicht mehr nachvollziehen; es war mir aber nicht wichtig, zumal ich ohnehin die Schule wechseln wollte.
Was meine Mitschrift bewirkt hat, weiß ich nicht. Womöglich wurde das „Tagebuch der Lehrerflüche“ schubladisiert. Autorität der Lehrer und Gehorsam der Schüler gehörten damals noch zum Alltag der Regelschulen – wer aufmuckte, galt als unerzogener Frechling und riskierte einen Schulverweis.
Immerhin vermag die Anekdote eine kritische Haltung anzudeuten, der ich stets treu geblieben bin. Nicht selten wurde ich dafür als vorlaut, widerborstig oder stur kritisiert.
Ordinarien gegen Marxisten
Gleich nach der Matura begann ich das Chemiestudium an der Universität Wien. Die 1968-er Bewegung war in vollem Gang und löste auch an den Hochschulen einen Gesinnungswandel aus.
Die meist erzkonservativen Ordinarien wehrten sich gegen vermeintlich antiautoritäre Umtriebe mancher Zöglinge und versuchten, die neu gegründeten Studienkommissionen zu hintertreiben, weil diese – horribile dictu – „drittelparitätisch“ besetzt waren:
Dass Studenten bei Lehrplänen mitbestimmen sollten, war für die meisten Inhaber von sogenannten Lehrstühlen unfassbar.
In dieser Phase des Umbruchs suchte ich nach politischer Orientierung. Lebhaft in Erinnerung habe ich die im Jahr 1972 gegründete Gruppe Revolutionärer Marxisten (sie erhielt bei der Nationalratswahl 1975 1.024 Stimmen). Ihre Anhänger wollten den Klassenkampf auf akademischem Boden anfachen.
Das hielt ich für völlig fehl am Platz, zumal inhaltliche Diskussionen mit den GRM-lern genauso fruchtlos waren wie mit der konservativen Fraktion der Uni-Professoren.
Gleichwohl war nicht zu leugnen, dass die Strukturen der heimischen Hochschulen verkrustet und Änderungen überfällig waren.
Allerdings konnte mich keine der politisch aktiven Studentenfraktionen begeistern. Auch später war ich niemals Mitglied einer politischen Partei.
Ich kandidierte als Parteifreier und wurde bei der ÖH-Wahl zum Mandatar der Studienrichtungsvertretung Chemie gewählt. Mein „Programm“ war vorwiegend sachlich, aber kritisch orientiert und grenzte sich explizit von „radikalen Randalierern“ ab, wie ich es nannte.
In dieser Zeit organisierte ich auch „Chemikerkonzerte“: Vertreter der Professoren, Assistenten und Studenten musizierten öffentlich miteinander. Es war ein symbolischer Versuch zur friedlichen Verständigung in der nicht selten aufgeheizten Stimmung in den Studienkommissionen. Das Bemühen wurde von vielen anerkannt.
Nach dem Doktorat begann ich im pharmazeutischen Unternehmen des Vaters. Das war keine gute Idee, denn die Chemie zwischen uns stimmte im wahrsten Sinn des Wortes nicht.
Mein widerborstiger Entschluss, die Firma bald wieder zu verlassen, war folgenschwer: Ich schmiss einen gesicherten Lebensunterhalt hin, ohne einen Plan B zu haben.
Wenig später begann ich, für das Nachrichtenmagazin profil zu schreiben.
Man lebt ganz gut als Journalist,
von Skandalen und von Zwist.
Für meine Berichte als Wissenschaftsjournalist für profil und andere Medien passt die Überschrift „Aufmüpfiger“ dieses Beitrags nicht so gut, denn aufmüpfig zu sein ist für mich in erster Linie ein bürgerschaftliches Engagement.
Im Nachrichtenmagazin profil wurde ich jedoch dafür bezahlt, über wissenschaftliche Sachverhalte und Kontroversen zu recherchieren und womöglich einen Skandal aufzudecken.
Dabei kamen auch Themen ins Blickfeld wie der umstrittene Krebsverein des Pathologen Dr. Heinrich Wrba: Es bestand damals der Verdacht, dass Gelder aus Erbschaften zugunsten der Krebsforschung zweckwidrig verwendet worden seien.
In Beiträgen wie etwa zum Thema „das freudlose Fressen“ muckte ich gegen Dogmen der Schulmedizin auf und wurde von etablierten Experten heftig kritisiert. Umgekehrt versuchte ich auch, haltlose Versprechen diverser Scharlatane als das zu entlarven, was sie sind: als Humbug.
Zahlreiche Artikel widmeten sich der unkontrollierten Umweltverschmutzung sowie umstrittenen Bauprojekten wie dem AKW Zwentendorf und dem Kraftwerk Hainburg.
Zum Thema „Überwachungsstaat Österreich“ schrieb ich im Orwell-Jahr 1984 ein Buch für den Orac-Verlag (siehe Beitrag „Autor“).
Auch der österreichische Weinskandal war mehrfach Thema. Ein Artikel zum Verdacht, der Lebensmittelprüfer Friedrich Petuely habe Gutachten manipuliert, führte zu gerichtlichen Klagen gegen mich.
Als Kammerangestellter gegen Zwentendorf . . .
Am 1. März 1978 begann ich – zusätzlich zum Journalistenjob – als Referent für Lebensmittel und Ernährung in der Bundeswirtschaftskammer (heute WKO, siehe den Bericht „Kämmerer“ auf dieser Website).
Vor der Aufnahme in den Kammerdienst war eine Vorstellung bei Generalsekretär Dr. Arthur Mussil zu absolvieren. Die politische Linie der Interessenvertretung war damals klar für die friedliche Nutzung von Atomkraft und daher auch für die Inbetriebnahme des AKW Zwentendorf (damals verwendete man das Kürzel KKW).
Mussil entnahm den Unterlagen, dass ich Chemie studiert hatte und fragte beim Vorstellungsgespräch nach meiner Einstellung zur Kernenergie. Ich antwortete dem Generalsekretär, dass die friedliche Nutzung der Kernkraft ein geeignetes Endlager für ausgediente atomare Brennstäbe voraussetze; ein solches sei jedoch nicht absehbar, deshalb sei ich skeptisch.
Es war klar, dass ich mit dieser Stellungnahme die Ablehnung meiner Bewerbung riskierte. Aber Mussil genehmigte sie.
. . . und für Bio-Richtlinien
Wenig später begann eine interne Diskussion über den biologischen Landbau. Die meisten Wirtschaftskapitäne in meinem beruflichen Umfeld sahen die steigende Popularität der damals aufkommenden Bio-Produkte skeptisch. Die Sorge war begründet, hatten doch zahlreiche Gesundheitsapostel schon bisher vor der Schädlichkeit industrieller Erzeugnisse gewarnt, den weißen Zucker als Vitamin-B-Räuber und das Auszugsmehl als ungesund verteufelt.
Dass Bio-Produkte als gesund angepriesen wurden, sah man kammerintern als unlauteren Wettbewerb und hielt die Bio-Bauern für Schwindler; chemisch-analytisch lasse sich ja gar nicht beweisen, dass ein Apfel aus biologischem Anbei stamme.
Ich hielt als Jungspund dagegen, der zunehmende Einsatz von Herbiziden und Pestiziden in der Landwirtschaft sei kein Renommé für Produkte aus konventionellem Anbau. Außerdem könne man die Bio-Bewegung nicht einfach abwürgen (was die Hardliner unter den Wirtschaftskapitänen bezweckten).
Mein damaliger Chef, der Jurist Klaus Smolka, wurde nachdenklich. Auch Otto Riedl, Miteigentümer der Firma Manner und Obmann des Süßwarenverbandes in der Kammer, hörte sich meine Argumente an.
Sie beförderten die Erkenntnis, dass gesetzliche Richtlinien für Bio-Produkte eine notwendige Voraussetzung seien, um „Waffengleichheit“ für konventionell und biologisch orientierte Erzeuger herzustellen. Sektionschef Herbert Pindur vom Gesundheitsministerium war auch dafür zu haben.
So kam es zur Gründung einer offiziellen Kommission zur Ausarbeitung von Bio-Richtlinien. Vom ersten Tag an war ich mit etwas Stolz und viel Elan dabei.
1987: Abgang aus Protest
Für den Hörfunk des ORF moderierte ich in den 1980-er Jahren zahlreiche Beiträge, vor allem die beliebte Live-Sendung „Von Tag zu Tag“, mit Interviews von Experten und mit Hörerinnen und Hörern am Telefon (ihr Nachfolger heißt zur Zeit „Punkt eins“).
Über Jahre hinweg war die Zusammenarbeit im ORF wertschätzend gewesen, wenngleich nicht ohne Intrigen. Aber eines Tages ging das Gerücht um, dass die Honorare der freien Mitarbeiter im Hörfunk gekürzt werden sollten, und zwar kräftig. Ein auch von mir unterzeichnetes Schreiben an den damaligen Intendanten Ernst Grissemann brachte kein Ergebnis.
Am meisten ärgerte mich damals eine interne Mitteilung des Intendanten (die händischen Markierungen sind von mir eingefügt):
Ich beendete meine Tätigkeit für den Hörfunk aus eigenem Entschluss.
Dass mein Ausscheiden ein Zeichen von Protest sei, ließ ich im Hörfunk zwar verbreiten, aber es war dem ORF wurscht (wie nicht anders zu erwarten war).
1997:
Der „Sperrstunden-Töter“
Seit Mai 1990 war ich als Wirt unternehmerisch aktiv und mit dem Aufbau des Lokals „Schlossgasse 21“ beschäftigt (siehe Beitrag „Wirt“).
Im Frühsommer des Jahres 1997 stand im österreichischen Nationalrat eine Novelle zur Gewerbeordnung auf der Tagesordnung. Eine Woche vor dem Termin zur Abstimmung sickerte ein Vorhaben durch, das den heimischen Tourismus in Alarmbereitschaft versetzte:
Die Sperrstunde in Gast- und Schanigärten solle auf 20 Uhr verkürzt werden, wurde kolportiert.
Ich war fassungslos, nicht nur, weil ich im Gastgarten gute Umsätze erzielte, sondern weil eine Sperrstunde im Freien und im Sommer noch vor Sonnenuntergang vollkommen unverhältnismäßig schien. Ich griff zum Telefon und rief meine Freunde in der Kammer an.
Die wollten das Gerücht nicht glauben. Konkrete Vorschläge, was man dagegen tun könne, kamen keine. Es sei ja nur mehr eine Woche Zeit bis zur geplanten Beschlussfassung der Novelle, wurde argumentiert.
In der darauffolgenden Nacht – es war von Mittwoch auf Donnerstag – schlief ich wenig. Im Morgengrauen kam mir eine Idee. Gleich zu Dienstbeginn rief ich neuerlich in der Kammer an und fragte an, ob die Interessenvertretung eine Protestaktion unterstützen würde, wenn ich sie im Alleingang organisierte. Die Antwort kam wenig später und lautete „ja“.
Ich verfasste einen Protestbrief, recherchierte die Nummern aller Fax-Geräte im Bundeskanzleramt und fügte sie in dem Schreiben an (e-mails waren damals noch nicht verbreitet).
Mein Ziel war es, den seit kurzem amtierenden Bundeskanzler Viktor Klima mit Protestfaxen zu überhäufen und so einen Meinungsumschwung herbeizuführen.
Am Nachmittag desselben Tages war die Aktion mit dem Fachverband für Gastronomie in der Bundeskammer akkordiert. Mein Schreiben wurde an alle Landeskammern mit dem Ersuchen um breite Weiterleitung an möglichst viele Gastronomen versandt; in einem Begleitschreiben wurden alle Wirte gebeten, das Protestfax an ihre Branchenkollegen weiterzugeben und außerdem Kopien anzufertigen, auf denen die Gäste unterschreiben sollten. Am Freitag und Samstag versandte ich zusätzlich hunderte Faxe an alle Gasthäuser und Restaurants aus, deren Nummern ich aus diversen Gastro-Führern abgeschrieben hatte. In Margareten wurden Berge von Kopien in anderen Lokalen verteilt.
Das Ergebnis: Am Montag und Dienstag waren alle Faxgeräte am Ballhausplatz lahmgelegt. Papierberge stapelten sich.
Und siehe da: Die Regierung schwenkte um. Am Mittwoch wurde die Sperrstunde im Nationalrat von 20 auf 22 Uhr geändert, Sperrstunden nach 22 Uhr sollten im Einzelfall weiterhin zulässig sein.
Am Tag darauf kam der Bundeskanzler persönlich auf Besuch in die Schlossgasse 21. Ein Foto mit Viktor Klima und meiner Mitarbeiterin Martina erschien auf der Titelseite der Kronenzeitung.
Wenig später kamen der Kanzler und Wiens Bürgermeister Michael Häupl nochmals vorbei, wir tranken bis weit nach Sperrstunde guten italienischen Rotwein.
Michael Jeannée von der Kronenzeitung, für seine markanten Formulierungen berüchtigt, nannte mich fortan den „Sperrstunden-Töter“. Fast alle anderen Medien berichteten in großer Aufmachung.
Im ORF wurde ich in der populären Sendung von Walter Schiejok interviewt, der sich damals als „Anwalt des kleinen Mannes“ profiliert hatte; ich wusste, dass Lärmbelästigung der Anrainer daher ein Thema für die Frage der Sperrstunde sein würde und ging ausführlich darauf ein:
Mein Freund und VP-Abgeordneter Günter Stummvoll berichtete mir von einem mutmaßlich weiteren Grund für den Meinungsumschwung, der jedoch nie an die Öffentlichkeit drang und den ich der guten Ordnung halber ergänze: Am Tag vor der Plenarsitzung im Nationalrat habe sich in politischen Kreisen herumgesprochen, so Stummvoll, dass der damalige FP-Chef Jörg Haider eine Brandrede mit folgender Aussage vorbereite: „Wenn jeder Türke im Hinterhof seines Wohnhauses bis zehn Uhr abends einen Hammel am Spieß braten darf, warum muss dann der brave Wirt nebenan seinen Garten schon um acht zusperren?“. Die Rede wurde nie gehalten, weil kein Anlass mehr dazu war.
1999:
Mit dem Schalk im Nacken
Ungewöhnliche und nicht selten werbewirksame Aktionen gab es nicht wenige in den 25 Jahren meiner aktiven Zeit als Wiener Wirt. Oft waren sie mit einer Portion Humor gewürzt. Als Beispiel sei eine Veranstaltung aus Anlass einer medial weltweit verbreiteten Prophezeihung des Astrologen und Propheten Nostradamus erwähnt, wonach die Welt im Jahr 1999 untergehen werde.
Was in diesem Jahr tatsächlich stattfand, war eine Sonnenfinsternis am 11. August.
Am Vorabend dieses Ereignisses lud ich zur „Nacht der Wahrsager“, unter anderen standen eine Astrologin, eine Kaffeesudleserin sowie ein Magier für die geladenen Stammgäste bereit. Grafiker Richard Donhauser entwarf eine dazu passende Einladung:
2000:
Kunst und gut
Kunst im Wirtshaus gehört für mich zum gastronomischen Alltag ebenso dazu wie das Engagement für wohltätige Zwecke. Man muss „über den Tellerrand schauen“, das war und ist meine Devise.
So organisierte ich eine Ausstellung von Skulpturen des berühmten Bildhauers Alfred Hrdlicka und einigen seiner Schüler.
Sie fand im Gastgarten des Silberwirt statt und trug den Titel „Konfrontation“.
Hrdlicka war bekennender Kommunist, aber einer mit Humor; er unterstützte die Aktion mit einem Augenzwinkern: Die Kunstausstellung wurde als Besetzung des Schlossquadrats durch die Künstler inszeniert.
Krone-Adabei Jeannée schrieb: „Szene-Wirt gegen Stammtisch-Gesudel“.
Künstlerische und politische Aktionen im Wirts- und Kaffeehaus zuzulassen, war mir wichtig, weil gastronomische Lokale mehr bieten sollen als gutes Essen und Trinken. Siehe den folgenden Überblick:
2006:
Aktion Stephansplatz
Jahre später organisierte ich mit meinem Stammgast und Freund Harry Kopietz einen Advent-Gag: Im Spätherbst des Jahres 2006 hatte die damalige Bezirksvorsteherin der Wiener City, Ursula Stenzel, die Genehmigung für den traditionellen Punschstand vor dem Stephansdom verweigert (zu diesem Anlass werden jedes Jahr Spenden für die Aktion „Rettet den Stephansdom“ gesammelt).
Beim nächsten Besuch von Harry Kopietz im Silberwirt sprachen wir darüber. Ich wusste, dass Kopietz für Stenzel ein – im wahrsten Sinn des Wortes – rotes Tuch war; sie nannte ihn damals den „Putin von Wien“.
Harry und ich beschlossen kurzerhand, den Stephansplatz von der City in den Innenhof der Schlossgasse 21 zu verlegen. Kopietz ließ eine riesige Fototafel vom Stephansdom anfertigen, die im Hof des Biedermeierhauses aufgestellt und beleuchtet wurde.
Anfang Dezember luden wir Freunde und Bekannte zur Eröffnung des Punschstandes – die Parteizugehörigkeit spielte ausnahmsweise keine Rolle, weil es um einen guten Zweck für das Wahrzeichen von Wien ging. Außerdem machte es Spaß, der City-Bezirksvorsteherin eins auszuwischen.
Am Abend der Eröffnung versammelte sich eine illustre Runde zum feierlichen Punschgenuss. Plötzlich wurde mir geflüstert: „Die Stenzel kommt!“ Wenig später stand sie dann tatsächlich da. Margaretens Bezirksvorsteher Kurt Wimmer gewährte seiner Kollegin vor laufender Kamera Asyl.
2006 wurden für „Rettet den Stephansdom“ 25.000 Euro gesammelt:
Das Sammeln von Spenden für einen guten Zweck war mir von Anfang an ein wichtiges Anliegen als Unternehmer, weil sie nach meiner Überzeugung zur Solidarität verpflichtet sind.
Manche Aktionen sind spontan entstanden. So führte ein außergewöhnliches Hochwasser Anfang der 2000-er Jahre zu Verwüstungen im niederösterreichischen Kamptal (wo ich meinen privaten Weinkeller hatte); der Kindergarten im nahe gelegenen Zöbing war vollkommen zerstört. Gemeinsam mit VP-Mandatar Günter Stummvoll und Winzer Willi Bründlmayer organisierten wir eine Spendenaktion, deren Erlös maßgeblich zum Wiederaufbau des Kindergartens beitrug.
2010:
Keine Mauern durchs Lokal!
Zwei Jahre später mobilisierte ich gegen ein grottenschlecht formuliertes Tabakgesetz, das eine räumliche Trennung größerer Gastlokale in Raucher- und Nichtraucherbereiche vorsah und größeren Lokalen damit erhebliche Baukosten aufhalste.
Ich wetterte vehement gegen die Errichtung von Mauern und die dadurch entstehende Zweiklassen-Gesellschaft von Rauchern und Nichtrauchern. Siehe die folgenden Interviews:
In einer Pressekonferenz wurde eine Verfassungsklage präsentiert. Das mediale Echo war beachtlich.
Und weil mir auch bei dieser Aktion der Schalk im Nacken saß, veranstaltete ich mit Magier Tony Rei das erste magische Raucher-Kabarett und kündigte dessen Uraufführung in der Trattoria Margareta an: Dompfarrer Tony Fumo weiht zu Beginn der Vorstellung feierlich den Nichtraucherraum, aber ein Teufelchen entführt dessen Ministrantin zu einer Raucherparty. Ein behördlicher Kontrollor tritt ein und straft die arme Wirtin, weil gerade geraucht wird, doch Kampfraucherin Tschick-Gitti wehrt sich dagegen, das Rauchen einzustellen.
Die Vorstellung endet mit einer Wirtshaus-Hymne auf die Toleranz.
Rund zehn Jahre später zeigte sich, dass das Rauchverbot in Lokalen nur verzögert werden konnte. Seit 1. November 2019 ist Österreichs Gastronomie rauchfrei. Persönlich war ich nicht davon betroffen, weil ich schon im Jahr 2005 zu rauchen aufgehört hatte. Viele Lokalgäste und Mitarbeiter mussten sich erst daran gewöhnen.
Hier schließt sich ein Kreis zu den militanten Gegnern einer staatlich verordneten Impfpflicht, die seit der Corona-Pandemie kontrovers diskutiert wird, und der immer wieder aufs Neue umstrittenen Frage, wo die Freiheit des einen endet und die des anderen beginnt.
Ich schließe dieses Kapitel mit einem urösterreichischen Zitat: „Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst“. In Wien wird das nicht nur so hingesagt, sondern auch so gelebt. Es kann auch als Apotheose einer verinnerlichten Aufmüpfigkeit interpretiert werden, anders, aber doch in gewissem Maß ähnlich dem Spruch „Se obedece pero no se cumple“ aus der Zeit der spanischen Kronkolonien im Südamerika des 16. Jahrhunderts,
Wie auch immer – das folgende Plakat erregte ungewöhnlich viel Aufmerksamkeit, nicht nur bei Gästen vom Schlossquadrat. Anlass für die resignative Aufmüpfigkeit war damals eine unüblich lange – und für mich als Wirt geschäftsschädigende – Sperre der gesamten Schlossgasse wegen Straßenbauarbeiten: