Kämmerer

Mit Süßwaren-Obmann Otto Riedl (Fa. Manner)
Wer vorwärts will und ohne jammern,
der schafft das auch in Wirtschaftskammern.
Als im Herbst 1977 ein Job in der Wirtschaftskammer für mich in Aussicht war, wusste ich nicht, was mich erwarten würde. Ich hatte mit meinem künftigen Chef, dem Juristen Klaus Smolka, zwar ein ausführliches Gespräch geführt. Es war auf Empfehlung seines gut vernetzten Berufskollegen Raoul Kneucker zustande gekommen.
Aber wie würde mein Arbeitstag in der Praxis aussehen?
Der Vertrag sah vor, dass ich am 1. März 1978 eine Probezeit im Nahrungsmittelverband beginnen sollte:
Die Verlängerung des Vertrags auf Probe erwies sich als Formsache, ich hatte allerdings noch die Fachprüfung für den sogenannten Konzeptsdienst zu absolvieren, bei der man über das System der Kammerorganisation, Grundlagen des Gewerberechts u.a. befragt wurde. Die Prüfung bestand ich im November 1979.
Was macht ein Chemiker
als Referent für Lebensmittelrecht?
1978 begannen Verhandlungen mit dem Gesundheitsministerium und den Sozialpartnern, in denen über die Zulässigkeit von Zusatzstoffen in Lebensmitteln debattiert, manchmal auch gestritten wurde. Die Basis dafür war ein neues Lebensmittelgesetz, das 1975 in Kraft getreten war.
Da ging es um Farbstoffe, Emulgatoren, Stabilisatoren, lauter chemische Substanzen, zumeist solche mit den berühmten „E“-Nummern. Für diese war chemisches Wissen genauso wichtig wie die Kenntnis von Paragraphen (auf letztere war Klaus Smolka sowieso spezialisiert).
Außerdem stand die Lebensmittelindustrie im Kreuzfeuer öffentlicher Kritik. Das war an sich nichts Neues, denn schon im 19. Jahrhundert war gegen Konserven gewettert worden, Industriekost sei schädlich und daher pfui Teufel. In neuerer Zeit stellte man dann auch noch die Schadstoffe im Essen an den Pranger. Die Hersteller waren in der Defensive.
Zugleich erstarkten Reformbewegungen. Die sogenannte Vollwertkost wurde in den Medien als Inbegriff des Guten gepriesen.
An dieser Front für kühlen Kopf und harte Fakten zu sorgen, war schwierig. Zu Beginn meiner Tätigkeit gab es die Österreichische Gesellschaft für Ernährungsforschung, die zwar Kontakte zu einschlägigen Wissenschaftlern pflegte und eine Zeitschrift herausgab. In der Öffentlichkeit wurde aber kaum Notiz davon genommen.
Der Fachverband für Nahrungs- und Genussmittel war das organisatorische Dach für verschiedene Teilorganisationen, für alkoholfreie Getränke, Fleisch, Gewürze, Bier, Spirituosen, Futtermittel, Zucker- und Süßwaren und andere. Für jede dieser Gruppen waren in der Wirtschaftskammer eigene Mitarbeiter zuständig, die „ihre“ Hersteller zu betreuen hatten. Die letzteren verfolgten oft unterschiedliche Ziele und waren untereinander dann verschiedener Meinung. Sie unter einen Hut zu bringen, schien ein Ding der Unmöglichkeit.

Mit Martin Pecher, Obmann des Fachverbandes und Eigentümer der Firma Inzersdorfer, um 1980.
Es verlangte niemand von mir, Werbekampagnen zur Schönfärberei von Produkten zu unterstützen. Ich hätte derlei Ansinnen auch abgelehnt und wäre das mit meinen Jobs für profil und den ORF unvereinbar gewesen. Gleichwohl war jede Aussage zu Lebensmitteln und Ernährung eine Gratwanderung.
Die meisten (aber nicht alle) Vertreter der Hersteller waren froh über meine fachliche und journalistische Arbeit, die sich streng am Grundsatz „Sagen, was ist“ orientierte (so lautete der Grundsatz von Rudolf Augstein, des legendären Gründers vom deutschen Nachrichtenmagazin Der Spiegel).
Kontroversen um das Färben von Lebensmitteln.
Viele Tücken lagen freilich im Detail. Das erfuhr ich bald nach meinem Dienstantritt. Ich hatte einen überraschend großen Katalog von Farbstoffen zu beschreiben und zu beurteilen. Die Hersteller wollten möglichst viele Farbstoffe in Lebensmitteln einsetzen dürfen, die Konsumentenschützer verweigerten möglichst alle.
Aus diesen kontroversiellen Standpunkten formulierte ich programmatisch den folgenden Grundsatz (detaillierte Ausführungen sind im nachstehenden Link zu lesen): „Dem Gesetzgeber obliegt es . . . , Maßnahmen zur Verhinderung einer Überfärbung vorzusehen sowie Farbstoffe, deren Gesundheitsschädlichkeit erwiesen ist, von den Zulassungslisten auszunehmen . . .“. Der leicht emotionalisierte Fanatiker oder geistige Grenzproduzent könne nicht Maßstab für die Anwendung von Gesetzen sein, argumentierte ich.
Fachartikel LebensmittelfarbstoffeIn Summe gefiel mir der Kammerjob besser als erwartet. Smolka gewährte mir viel Freiraum, wir diskutierten grundsätzliche Fragen und waren zwar nicht immer einer Meinung, aber es zählte am Ende das Ergebnis.
Von links: Klaus Smolka, Ehefrau des damaligen Präsidenten der Ernährungsgesellschaft ÖGE
und rechts der Physiologe Wilhelm Auerswald von der Universität Wien.
In lebhafter Erinnerung ist mir eine stundenlange Verhandlung über die Farbstoffverordnung. Sie fand nahe vom Wurstlprater statt, in einer baulich vernachlässigten Dependance des Gesundheitsministeriums. Von der Firma Unilever hatten wir verschiedene Sorten von Speiseeis als Beleg für den Sinn des Färbens bekommen.
Anwesend waren unter anderen der weithin gefürchtete „Lebensmittelpapst“ Friedrich Petuely von der Bundesanstalt für Lebensmitteluntersuchung und sein Wiener Pendant Alfred Psota. Beide kosteten das Eis, vor allem der zweitgenannte, und aßen im Zuge der Diskussion fast alles auf.
Die streitvollen Szenen beeindruckten mich so, dass ich daraus den Entwurf zu einem Theaterstück machte (eigentlich war es kein Theaterstück, denn die Gespräche trugen sich ziemlich genauso zu wie beschrieben, nur der Traum im Nachspiel des Textes war erfunden).
Klaus Smolka schickte mir den Entwurf mit dem Vermerk retour: „Selten so viel gelacht!“ Eigentlich wollte ich, dass der Beitrag, unter Umständen in gekürzter Form, veröffentlicht wird. Aber leider kam es nicht dazu. Die Fronten im Streit ums Färben schienen damals so festgefahren, dass niemand den Jux riskieren wollte. Schade.
Theaterstück zur Farbstoff VOEine Palme fürs Palais
Mein Büro im Nahrungsmittelverband befand sich in einem stattlichen neoklassizistischen Bau, dem Palais Fanto, benannt nach einem Ölmillionär aus Galizien. Später war es Sitz des österreichischen Branntweinmonopols und auch des Arnold Schönberg Centers – eine ungewöhnliche historische Abfolge.
Die Räumlichkeiten in der Zaunergasse war großzügig, mit hohen Decken und gediegenem Interieur. Aber es fehlte mir was Grünes. In der Bundesgärtnerei beim Schloss Belvedere kaufte ich eines Tages eine Palme, die mein ganzes Berufsleben begleiten sollte. Derzeit steht sie in meinem Büro am Margaretenplatz, sie dürfte inzwischen über 50 Jahre alt sein.
Zum ersten Mal hatte ich damals eine Sekretärin. Ich „übernahm“ sie von meinem Vorgänger Hermann Gruber. Er hatte als studierter Jurist die Agenden des Lebensmittgesetzes 1975 wahrgenommen und war in den Verband der Brauereien übersiedelt; ich nahm seinen Platz im Dachverband ein, der wie oben gesagt alle Branchen zu betreuen hatte.
Äthanol aus Biomasse
Im Jahr 1979 vertiefte sich die öffentliche Diskussion, ob die Erzeugung und Beimischung von „Biosprit“ (etwa aus Zuckerrüben gewonnener Alkohol) zum Benzin sinnvoll sei – das Thema wurde durch die Folgen der Ölkrise 1973 und Warnungen vor einer baldigen Verknappung fossiler Brennstoffe befeuert. Brasilien galt als Vorbild für den Einsatz von Biosprit.
Damals arbeitete ein Freund, Christian Thalhammer, im Bundesministerium für Handel, Gewerbe und Industrie. Wir diskutierten über eine Literaturstudie zu diesem Thema. Wenig später kam der Auftrag. Die Arbeit für das Handelsministerium war im August 1979 fertig.
Äthanol aus BiomasseRichtlinien für biologischen Landbau
Wenig später rückte der biologische Landbau in den Mittelpunkt der internen Planungsdiskussionen: Die meisten gewerblichen Lebensmittelhersteller sahen die Bio-Bauern und ihre als gesund angepriesenen Produkte als „Schmutz-Konkurrenz“: Wenn diese Erzeugnisse alle so gesund seien, wie in den Medien häufig berichtet wurde, dann hieße das ja im Umkehrschluss, dass konventionelle Produkte minderwertig, wenn nicht sogar gesundheitsschädlich seien. Das gefiel den gewerblichen Herstellern gar nicht.
Heutzutage sind viele, auch große Erzeuger auf den Bio-Zug aufgesprungen, aber das war Anfang der 1980-er Jahre noch unvorstellbar.
Klaus Smolka, Otto Riedl und ich diskutierten, was man tun könne.
Ich hielt es für chancenlos, nur abwehrend zu argumentieren, dass Bioprodukte ja auch nicht „gesünder“ seien als konventionelle und dass es vielmehr darauf ankomme, was man esse und wieviel.
Natürlich wäre auch eine Medienkampagne mit der Botschaft möglich gewesen, dass man sich mit Bioprodukten genauso falsch ernähren kann wie mit konventionellen, aber die Medien und Verbraucher hätten das wahrscheinlich ignoriert.
„If you can’t beat them, join them“, war mein Vorschlag.
Meine Argumente beförderten eine Wende: es sollten gesetzliche Regeln für biologische Produkte ausgearbeitet werden, um „Waffengleichheit“ zwischen konventionellen Erzeugnissen und solchen aus biologischem Anbau herzustellen.
So kam es zur europaweit ersten Kommission für biologischen Landbau, sie war im Gesundheitsministerium angesiedelt und sollte verbindliche Richtlinien ausarbeiten.
In der Folge saß ich mehr als zehn Jahre in der Bio-Kommission. Die Vertreter der Lebensmitteluntersuchungsanstalten und der Arbeiterkammer (die letztere vertreten durch meinen späteren Lokal-Stammgast Renate Brauner) wunderten sich, dass ich als Vertreter der Lebensmittelwirtschaft gar nicht dagegen wetterte, sondern im Gegenteil für solche Richtlinien eintrat und den Grundsatz möglichst geschlossener Betriebskreisläufe teilte.
Am „Verhindern“ war zunächst Otto Steineck, Professor für Pflanzenbauwissenschaft an der Hochschule für Bodenkultur (er hieß auch „Düngemittelpapst“, weil leicht lösliche Mineraldünger für ihn das Maß aller Dinge in der Landwirtschaft waren).
Der doppelte Doktor Friedrich Petuely von der Bundesanstalt für Lebensmitteluntersuchung und -forschung argumentierte anders, aber ebenfalls ablehnend: „Solange ich beim Endprodukt nicht analytisch nachweisen kann, ob es Bio ist oder nicht, halte ich von solchen Richtlinien nichts“.
Als Analytiker hatte Petuely natürlich recht. Der von ihm geforderte chemische Nachweis im Endprodukt lässt sich bis heute nicht erbringen. Aber darum ging und geht es nicht: Biologischer Landbau steht für eine umweltschonende Ausrichtung von Anbaumethoden, die ohne leicht lösliche Mineraldünger, Herbizide und Pestizide auskommen. Allein dafür sind viele Verbraucher offenbar bereit, mehr zu zahlen.
Petuely war das auch klar, aber wenn man „anders angebaute“ Erzeugnisse bei der Probenziehung im Supermarkt schon nicht analysieren kann, dann müsse statt dessen ein anderes Kontrollverfahren her: Beispielsweise eine lückenlose Kontrolle der Produktion vom Erzeuger – über den Händler oder direkt – zum Verbraucher. Das schien für Petuely nicht machbar.
Mit dieser Skepsis war er nicht allein – viele andere hielten die dazu nötige Umorganisation des Groß- und Einzelhandels für kaum oder gar nicht umsetzbar. Heute ist weitgehend unumstritten: Ja, es geht doch (auch wenn „schwarze Schafe“ den Herkunftskontrollen auszuweichen versuchen).
Solange die oben genannten beiden Experten in der Bio-Kommission saßen, stockten die Richtlinien. Immerhin hatten die anderen Anwesenden in dieser Phase Gelegenheit, mögliche Ansätze abzuchecken und verschiedene Fachmeinungen anzuhören.
Erst als Steineck und Petuely ausgeschieden waren, kam Bewegung in die Sache. Die ersten Richtlinien für pflanzliche Produktionsmethoden wurden am 11. März 1985 beschlossen, für daraus erzeugte Folgeprodukte im Jahr 1989.
In der Zwischenzeit wurde aus meinem Angestelltenvertrag bei der Bundeswirtschaftskammer einvernehmlich ein Konsulentenvertrag mit dem Forschungsinstitut der Ernährungswirtschaft (damals im 19. Bezirk ansässig).
Auf diese Weise konnte ich meine Mitarbeit in den Codex-Kommissionen für biologische Lebensmittel, später für Schadstoffe in Lebensmitteln und für Vitaminisierung bis in die 1990-er Jahre fortsetzen – siehe die Dokumente in folgendem Link.
ff KonsulentSchulbuch für Ernährung und Symposien
Außerdem schrieb ich Anfang der 1980-er Jahre ein Buch über Nahrung, Ernährung und Gesundheit. Die Approbation des Manuskripts als Schulbuch wurde vom Bundesministerium für Unterricht im Jahr 1981 erteilt, das Buch erschien ein Jahr später im Molden-Verlag.
Es war eine wichtige Etappe in meiner neuen Arbeit , zumal das Buch in zahlreichen Auflagen weiter gedruckt wurde. 1990 erschien es als inhaltlich unveränderte Neuauflage im Manz-Verlag.
Anm: Erst viel später entdeckte ich, dass der Verlag im Jahr 2002 ein Buch mit dem Titel „Ernährungslehre“ und dem Untertitel „Nahrung, Ernährung, Gesundheit“ veröffentlicht hatte, das neben meinem Namen als Autor eine Frau Mag. Monika Fröschl nannte, die ich nicht kenne: Man hatte mein Konzept genommen, den Inhalt deutlich verändert und mich, ohne zu fragen, als Autor genannt.
So sah der Cover der ersten Auflage aus.
Und hier der Text im Original:
Zu Ernährungsthemen organisierte ich außerdem wissenschaftliche Symposien: Eines beschäftigte sich mit Ernährungserhebungen, also wie man am besten herausfindet, wer was isst und trinkt und warum und wie die Haushaltserhebungen des Statistischen Zentralamts verbessert werden könnten.
Die Ergebnisse wurden im Maudrich-Verlag veröffentlicht.
Dieses Buch war als Vorstufe für einen Österreichischen Ernährungsbericht gedacht (in Analogie zu Deutschland, wo ein solcher regelmäßig erscheint, zuletzt 2020). Ich bekam vom damaligen Gesundheitsminister Kurt Steyrer dazu den Auftrag für eine Literaturstudie. Sie wurde 1982 veröffentlicht, nachstehend eine Zusammenfassung:
Österreichischer ErnährungsberichtAuf das Thema Ernährungserhebungen folgte ein Symposium mit dem Titel „Ernährungswissenschaft und Öffentlichkeit“:
Herausgeber Auerswald war, wie schon erwähnt, Vorstand des Instituts für Physiologie an der Universität Wien und unterstützte meine Aktivitäten nach Kräften.
Oft rief er mich vor 7 Uhr in der Früh an und wollte über Neuigkeiten des Tages diskutieren, die er den Medien gerade entnommen hatte. Oft konnte ich nicht gut mitreden, weil ich noch schlaftrunken im Bett lag.
Leider ist Auerswald viel zu früh verstorben. Nachstehend ein Foto aus dem Jahr 1980.
mit Physiologieprofessor Wilhelm Auerswald
1984 erschien im Piper-Verlag ein weiteres Buch mit dem Titel „Diät – aber wie?“. Darin setzte ich mich kritisch mit mehr oder weniger skurrilen Diätaposteln auseinander.
Vom Lebensmittelrecht zur Informationstechnik
Zu meinen Kernthemen Lebensmittelrecht und Ernährungsforschung in der Wirtschaftskammer kamen etwas später drei weitere Aufgaben hinzu, die ganz anders gelagert waren. Sie leiteten eine Wende in meinem Job als Kämmerer ein.
Ich organisierte damals
- Seminare über die Verwendung von Personal Computern für Top-Manager und Handelsdelegierte am Hernstein Institut für Unternehmensführung;
- ein Forschungsprojekt zum Aufbau von Informationsvermittlungen in Österreich und ein
- Pilotprojekt für einen EDV-gestützten Datenverbund europäischer Handelskammern.
Dass sich mein Job als Referent für Lebensmittelrecht und Ernährungsfragen so entwickelte, war weder geplant noch voraussehbar gewesen.
Denn für Computertechnik hatte ich mich zwar aus eigenem Antrieb interessiert, aber dass das so gewonnene Knowhow zu so vielen neuen Arbeitsfeldern führen würde, überraschte und freute mich – ich ergriff die neuen Chancen.
Computerseminare
Seit Ende der 1970-er Jahre hatte ich mich intensiv mit Computern beschäftigt. Das Thema war hochaktuell, die wenigsten kannten sich aus.
Im Nachrichtenmagazin profil begann ich mit Testberichten über EDV-Hardware und Software (siehe das Kapitel „Autor“). Wenig später galt ich als „Fachmann“ (der ich nie war).
Gemeinsam mit meinem Mitarbeiter Alois Göschl veranstaltete ich Seminare am Hernstein Institut für Unternehmensführung, sie liefen unter dem Titel „Der Personal Computer für Top-Manager“. Den Wirtschaftsbossen sollte klar werden, dass sie sich selbst mit den neuen Technologien auseinandersetzen und diese Aufgabe nicht an Sekretäre und Sekretärinnen delegieren.
Der Zuspruch war groß, in vielen Fällen war es jedoch nicht einfach, unerwartete Hemmschwellen zu überwinden. Eine davon war, dass nicht wenige Firmenchefs mit einer Tastatur nicht umgehen konnten (oder wollten) . . .
Später adaptierten wir ähnliche Seminare für Handelsdelegierte der Bundeswirtschaftskammer. Sie liefen produktiver, zumal die Teilnehmer mühelos tippen konnten und den neuen Medien gegenüber aufgeschlossener waren; für sie kam auch noch das Interesse an online Datenbanken hinzu, die ebenfalls Thema der Vorträge waren.
Seminare HernsteinJe mehr Extra-Jobs ich bekam, desto seltener war ich im Büro des Nahrungsmittelverbandes anwesend. Klaus Smolka hatte meine Eskapaden nicht nur zugelassen, sondern sogar gut geheißen – aber irgendwie wurde schrittweise klar, dass er mich nicht werde halten können. Immerhin war ich in Sachen Ernährung sehr aktiv gewesen und hatte die Basis für künftige Entwicklungen gelegt. Einen Teil der Agenden betreute ich ja weiterhin, bis in die 1990-er Jahre.
Fachinformationsführer
1980 beauftragte mich Otto A. Simmler, Ministerialrat im Bundeskanzleramt, mit einem Projekt, das „Fachinformationssystem Ernährung“ genannt wurde. Der 260 Seiten lange Bericht erschien im August 1981 in hektografiertem Format. Simmler wollte im Rahmen eines deutsch-österreichischen Gemeinschaftsprojekts das sogenannte IVS-Modell aufbauen (IVS steht für Informationsvermittlungsstellen).
Fachinformationssystem ErnährungDie IVS sollten „Drehscheiben“ für einzelne Fachrichtungen werden und als Vorstufe für die Vermittlung und Auswertung von online-Datenbanken dienen.
Ziele waren
- das Bibliothekswesen zu reformieren und zu digitalisieren,
- Verfügbares Fachwissen näher an die Allgemeinheit zu bringen.
Nach dem Pilotprojekt Ernährung begann ich mit der Arbeit an weiteren Fachinformationsführern, unter anderen über Medizin, Lebensmittel- und Agrarwissenschaften sowie Umweltschutz.
Sie wurden vom Wissenschaftsministerium finanziert und im Böhlau Verlag veröffentlicht (Mitarbeiter waren unter anderen Oliver Dworak, Hans Mosser, Wolfgang Preinsperger und Franz Tomandl):
In dieser Phase hatte ich zusätzlich zu meinen beiden Büros im Nahrungsmittelverband und in der Gartengasse (siehe „Autor“) noch ein drittes Büro im ersten Stock des altehrwürdigen Palais Porcia nahe der Freyung. Dort war eine Ludwig Boltzmann Forschungsstelle mit dem umständlichen Namen „für informationstechnologische Systemforschung“ (abgekürzt LIT) eingemietet, deren Leiter der oben genannte Otto A. Simmler war.
Die Aufbauarbeit für die Informationsstellen zeigte freilich keine bleibende Wirkung. Das heimische Bibliothekswesen blieb weitgehend so, wie es immer schon gewesen war. Die treibenden Kräfte der online-Technologie dagegen kamen aus den USA und die sollten das weitere Geschehen immer mehr dominieren.
Im Jahr 1989 entstand die Vorstufe des heutigen Internet, Das Projekt Google ging 1997 online. Im Rückblick war es wie eine mächtige Dampfwalze, die über die zu wenig ambitionierten europäischen Aufbauversuche hinwegfegte und globale Datenkraken etablierte, die sich bis heute fest in den Händen ihrer Eigentümer meist in den USA befinden.
Dagegen hatten heimische Erfindungen wie das MUPID (ein bildschirmtextfähiges multifunktionales Terminal) keine Chance, 1983 wurde zwar eine Firma zur Vermarktung des Geräts gegründet, aber bereits 1989 war das mit viel TamTam gefeierte „österreichische Vorzeige-Modell“ Geschichte.
Erfolgreicher sollte das ebenfalls im Bundeskanzleramt entwickelte Rechtsinformationssystem werden, das heute unter www.ris.bka.gv.at zum unverzichtbaren Bestandteil der heimischen Juristerei zählt. Im Unterschied zu den IVS-Projekten von Simmler konzentrierte sich das RIS auf österreichische Rechtsquellen und erlangte in dieser nationalen Nische ein Quasi-Monopol. Für die USA war sie nicht von Interesse.
Dagegen waren die IVS-Projekte auf wissenschaftlich-technische Bereiche und daher global ausgerichtet – sie hatten gegen die Dominanz der USA keine Chance.
Anfang der 1980-er Jahre war außerdem unvorstellbar, dass es eines Tages Unternehmen wie Google geben würde, die jedem erlauben, mit einem Mobiltelefon weltweit Daten abzufragen und auszutauschen.
Wie im Kapitel „Autor“ erwähnt, dürfte ich in Wien der erste und einzige Private gewesen sein, der den Zugang zu Datenbanken des DIALOG Online Search Systems hatte. So konnte ich mitverfolgen, wie sich die wissenschaftliche Dokumentation im Laufe der Jahre völlig neu organisierte.
So waren beispielsweise Recherchen in „Medline“ möglich, einer Datenbank über medizinische Forschungsarbeiten; sie bot keinen Volltext (das hätte die damals noch beschränkte Kapazität im Datentransfer überfordert), sondern man musste Deskriptoren eingeben und erhielt Hinweise auf gedruckte Fundstellen (die man dann in einer herkömmlichen Bibliothek ausheben musste). Der Leitungskontakt lief über die Radio-Austria AG (nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Radiosender).
Heute ist das längst überholt, die Volltexte von Fachartikeln aus aller Welt sind jederzeit online abrufbar. Damit teilt sich die Entwicklungsgeschichte von Druckwerken in zwei Sphären: vor und nach der Digitalisierung. Alles, was nicht oder noch nicht digital erfasst und durchsuchbar ist, muss man weiterhin in Bibliotheken aufstöbern oder in einer Buchhandlung kaufen. Den Rest kann man am Bildschirm lesen.
In Brüssel: Konzept für europäischen Datenverbund
1982 begann ein weiteres ambitioniertes Projekt, das in dieselbe Richtung wies: Helge Schöner von der Außenhandelsabteilung der Wirtschaftskammer, der damals der österreichische Verbindungsmann für ein EDV-gestützten Datenverbundsystem europäischer Handelskammern war, schlug mich als Manager für das neue Projekt vor.
Wenig später war ich oft bei Sitzungen im Brüsseler Hauptquartier. Das Projekt war in der Abteilung DG III/B/1 der Europäischen Kommission (korrekt: ihres Vorläufers) angesiedelt und sollte die europäische Informationsindustrie voranzutreiben helfen, als Gegengewicht zu den USA.
Zunächst hatte ich detaillierte Berichte über Kammerorganisationen in Europa, von Italien (Rom und Padua) bis England (London) zu erstellen, die ich alle vor Ort besuchte und befragte: Welche Rechner verwenden sie? Was für Telekommunikationseinrichtungen sind vorhanden? Welche Daten der Mitgliedunternehmen werden gesammelt? In welchem Dateiformat werden sie gespeichert?
Es stellte sich heraus, wie zu erwarten war: Jede Kammer hatte ihr eigenes System und wollte daran festhalten. In Brüssel begann eine kontroverse Diskussion zur weiteren Strategie: Die einen sagten, ein Verbundsystem mit den existierenden Daten sei zwecklos, weil zu kompliziert, die anderen meinten, man müsse von der Pieke auf eine neue Datenbank errichten und die nationalen Handelskammern sollten sie nachher implementieren.
Nach längerer Debatte wurde für einen technischen Versuch auf Basis der etablierten Systeme entschieden. Eine Standleitung zwischen Wien und Padua wurde errichtet und so gelang wenigstens eine erste, modellhafte Kommunikation zwischen italienischen und österreichischen Datenbanken.
Chronik des Scheiterns.
Ähnlich wie die Versuche mit den oben erwähnten österreichischen Informationsvermittlungsstellen Simmlers verlief auch das oben erwähnte Brüsseler Projekt im Sand. Für mich war die Zusammenarbeit mit den Beamten in Brüssel mühsam und unproduktiv, unternehmerischer Elan fehlte.
Geblieben sind für mich
- lebhafte Eindrücke aus verschiedenen Ländern und Kulturen, intensive Gesprächen mit Fachleuten in verschiedenen Sprachen und Mentalitäten sowie eine rege Reisetätigkeit, an der ich sowieso Freude hatte,
- die unerfreuliche Erkenntnis, dass Europa bereits in den 1980-er Jahren den Anschluss an die internationale Entwicklung der Informationstechnologie verpasst hat. Daraus ist inzwischen ein hoffnungsloser Rückstand geworden.
Um diesen Rückstand wenigstens zu verringern, bewarb ich mich im Jahr 1984 für den neu geschaffenen Posten eines Wissenschaftsattachés an der österreichischen Botschaft in Washington; ich hätte dort den Transfer von US-Technologie nach Österreich verbessern sollen. Mit diesem Job hätte ich die strategische Linie der zuvor beschriebenen Projekte fortsetzen können. Ich war von dem Vorhaben begeistert und hatte die erforderlichen Zusagen mündlich bekommen.
Aber im letzten Moment wurde einem anderen Kandidaten der Vorzug gegeben. Ich war damals maßlos enttäuscht und beschloss, keine weitere Karriere im Bereich der öffentlichen Verwaltung und der Kammerorganisation anzustreben.
Finanziell konnte ich diese Entscheidung verschmerzen, weil ich als Journalist und Konsulent ohnehin Arbeit hatte, von der ich gut leben konnte.
Gleichwohl rückte langsam auch der Gedanke an eine selbständige Tätigkeit näher. Im Fokus stand zunächst das Verlagswesen. Der Erb-Verlag war ein Kandidat. Mit AKH-Direktor Reinhard Krepler (den ich seit meiner Zeit als Studentenvertreter kannte) verhandelte ich über eine Zeitung fürs Krankenhaus. Später plante ich mit Geschäftsführer Günter Enickl vom trend-profil-Verlag eine Zeitschrift mit dem Arbeitstitel uni-trend. Ich wollte das neue Printmedium in Kooperation mit dem Verlag eigenverantwortlich betreuen.
Auch aus diesen Projekten wurde letztlich nichts.
Im Jahr 1985 kehre ich nach getaner Arbeit immer wieder in einer Cocktailbar ein, die in der Schlossgasse 21 neu eröffnet hatte. Hier begann ein neuer Lebensweg, den ich zuvor für unmöglich gehalten hätte.
Wie es dazu kam, ist im Kapitel „Wirt“ nachzulesen. Es trägt den Titel „wer nichts wird, wird Wirt“.