Kupferstich vom alten Schloss Margareten (1672), aus dem um die Jahrtausendwende das neue Schlossquadrat entstand.
Inhalt:
- Wer altes Bauwerk will sanieren, der darf das Ende nicht datierten
- 1988: Gut planen kann man Tag und Nacht, doch kommt‘s oft anders als gedacht
- 1989: Wer altes Bauwerk repariert, zahlt meistens mehr als kalkuliert
- Die Schlossgasse 21 und ihr Innenhof
- Viel schöner wäre das Gestalten, wenn würden keine Normen walten
- Wer Billigstbieter engagiert, der ist am Ende oft frustriert
- 1786: So wurde das alte Schlossgebäude zerstückelt
- 1992 – 2004: Die Hindernisse am Weg zur „Wiedervereinigung“
- Wer nicht mehr mit dem andern spricht, der landet oftmals vor Gericht
- 1998 Letzter Ausweg: Teilungsklage
- Alte Häuser stehen aus Gewohnheit
- 1999: Margaretenstraße 77: Tiefe Eingriffe
- Margaretenplatz 2: Der dritte Streich
- Endlich Bahn frei
- Es erntet viel und oft Verdruss, wer Denkmäler erneuern muss
- Video der Schlossquadrat Story
- 2007: Endlich ist auch der Margaretenplatz 2 saniert
- 2014: Patente wurden viel erdacht, im Hause Gartengasse 8. Nach Umbau, der Verdruss gebracht, ist es zum Wohnen neu gemacht.
- Chronik der Gartengasse 8
- Umbau und Sanierung des Hauses
Wer altes Bauwerk will sanieren,
der darf das Ende nicht datieren.
Das folgende Kapitel erzählt, wie ich zur Sanierung von Zinshäusern gekommen bin und was sich daraus entwickelt hat. Die Story von der kleinen Cocktailbar, die Mitte der 1980-er Jahre im Haus Schlossgasse 21 eröffnet hatte und später von mir übernommen wurde, wird im Kapitel „Wirt“ berichtet.
Hauserneuerung und Lokalerrichtung gingen zwar Hand in Hand, weshalb sich die Berichte „Bauherr“ und „Wirt“ teilweise überschneiden. Aber in einem einzigen Kapitel wäre die Chronik noch komplexer geworden, als sie ohnehin schon ist.
Wohlmeinende Experten hielten in den 1990-er Jahren mein Vorhaben für bescheuert, Wohnungen ausgerechnet in Gebäuden vermieten zu wollen, in denen gleichzeitig auch Lokale florieren sollten – das eine schließe das andere doch eher aus, argumentierten sie. Sie sollten unrecht haben.
Aber zurück zur Ausgangslage: Eigentümer der Liegenschaft Schlossgasse 21 war in den 1980-er Jahren Hans Dieter Leinwather. Er war planender Bauunternehmer und hatte die Mehrheitsanteile erworben, um das ziemlich herunter gekommene Biedermeierhaus zu sanieren. Weitere Anteile der Liegenschaft gehörten dem Baumeister Claus Strohmaier und dem Arzt Rainer Kitz.
Eine Instandsetzung war dringend nötig, denn so sah es in der Schlossgasse 21 damals aus:
Ich fragte bei Leinwather wegen eines Mietvertrages für die Cocktailbar an, die ich, wie eingangs erwähnt, übernehmen wollte, und bekam seine Zusage. Leinwather versicherte außerdem, dass das Haus im Jahr 1987 vom Keller bis ins Dach saniert werden würde.
Dann verstrich das Jahr 1987, ohne dass ein einziger Bauarbeiter erschien. Leinwather vertröstete mich mit Hinweis auf die enorme Bürokratie: Die Liegenschaft liege in einer Schutzzone, und das verursache zusätzliche Behördenwege und Einschränkungen bei der Planung.
Dass Verzögerungen im Altbau nicht die Ausnahme, sondern die Regel sind, sollte ich später noch mehrfach erleben.
1988: Gut Planen kann man Tag und Nacht,
doch kommt‘s oft anders als gedacht.
Anfang Februar 1988 verstarb Hans Dieter Leinwather unerwartet. Damit schien das weitere Schicksal der Sanierung des Hauses und damit auch des geplanten Lokals völlig ungewiss.
Doch der Zufall löste eine Wende aus, die meinen Lebenslauf tiefgreifend ändern sollte: Ein paar Wochen nach dem Begräbnis des Hauseigentümers traf ich dessen Schwester und erfuhr, dass sie die Liegenschaft geerbt hatte. Ich fragte sie, wie es nun mit der Sanierung weitergehen werde. Sie antwortete, kein Interesse daran zu haben.
„Würden Sie mir das Haus verkaufen?“, fragte ich spontan. „Ja“, sagte die Schwester, ebenfalls ohne zu zögern, „weil ich das Gefühl habe, dass Sie das Vorhaben im Sinne meines verstorbenen Bruders weiterführen“.
Den Anteil des verstorbenen Baumeisters Leinwather kaufte wenig später mein Vater. Mit seinem Einverständnis sollte ich die geplante Sanierung der baulichen Substanz, den Ausbau des Dachbodens und die Verbesserung der bestehenden Wohnungen in die Tat umsetzen.
Mit dem Kauf der ganzen Schlossgasse 21 rückte die kleine Cocktailbar in den Hintergrund – die Haussanierung bekam Vorrang. Sie war für mich eine Herausforderung, denn vom Baugeschehen hatte ich damals keinen blassen Schimmer.
1989: Wer altes Bauwerk repariert,
zahlt meistens mehr als kalkuliert.
Das kaufmännische Risiko war erheblich, denn es war keineswegs sicher, dass die von Leinwather projektierten Kosten der Sanierung am Ende reichen würden.
Es war ein Kredit von annähernd 30 Millionen Schilling geplant gewesen, dessen Rückzahlung vom Stadtereneuerungsfonds der Stadt Wien mit großzügigen Zinszuschüssen gefördert werden würde.
Die Zuschüsse hätten auch einen Teil der Kapitalrückzahlung abgedeckt; die verbleibenden Sanierungskosten wären zehn Jahre lang über vorübergehend erhöhte Mietzinse finanziert worden. Im Gegenzug hätte der Hauseigentümer für diese Zeitspanne auf seine Mieteinnahmen komplett verzichten müssen.
Für mich war die oben genannte Summe gewaltig viel Geld. Hoffentlich geht sich das mit der Sanierung aus, dachte ich. Zum Glück hatte ich als Miteigentümer einen Baumeister mit jahrzehntelanger Erfahrung.
Im Rückblick erscheinen mir alle, auch spätere Bauvorhaben, waghalsiger als vor Beginn, als die Entscheidung für oder gegen einen Baumaßnahme zu treffen war. Ich kann mich aber nicht erinnern, Angst vor dem Scheitern gehabt zu haben.
Ich denke, dass der Wille zum Gestalten, der Mut des Ehrgeizigen und die innere Zuversicht „ja, ich schaffe es“ ausschlaggebend waren.
Das nachstehende Bild zeigt beispielsweise die Wohnung Top 25 des Hauses Schlossgasse 21 nach Abriss der schadhaften Geschoßdecke, Baumeister Strohmeier und Mutter Elisabeth staunen.
Anfangs besuchte ich die wöchentlichen Baubesprechungen als „Beiwagerl“ des Miteigentümers Strohmaier und begann Stück für Stück, die traditionellen Abläufe kennen zu lernen. Wie komplex (und im Endeffekt auch risikoreich) solche Sanierungen in der konkreten Praxis sein können, begriff ich erst später.
Die Schlossgasse 21
und ihr Innenhof
Nachstehende Bildergalerie zeigt Fotos von Etappen des Umbaus in den Jahren 1988 bis 2002:
Im folgenden ist das Haus Schlossgasse 21 nach der Sanierung abgebildet.
Wichtig war neben der Instandsetzung des Bauwerks auch die Gestaltung und Begrünung der Innenhöfe, sowohl für die Wohnungsmieter als auch für die späteren Lokalgäste.
So pflanzten wir im Jahr 1991 einen Maulbeerbaum, der damalige Bürgermeister Helmut Zilk und ich griffen symbolisch zur Schaufel:
Bürgermeister Helmut Zilk (Mitte), Bezirksvorsteher Kurt Heinrich (rechts) und Stefan Gergely pflanzen einen Maulbeerbaum im Hof der Schlossgasse. 21.
Viel schöner wäre das Gestalten,
wenn würden keine Normen walten.
In den 2020-er Jahren ist das Sanieren alter Häuser noch um vieles komplexer geworden und mit strengen, teilweise völlig überzogenen Normen so überfrachtet, dass mein erstes Bauvorhaben der Jahre 1988 bis 1991 unter „heutigen“ Bedingungen nicht mehr gelungen wäre, weder in der damaligen Bauzeit noch zu vergleichbaren Kosten.
Sogenannte Immobilienhaie würden ein desolates Gebäude, wie es die Schlossgasse 21 vor der Sanierung zweifellos war, einfach abreißen und einen mehr oder weniger hässlichen Neubau hinstellen. Wenn ein Abbruch wegen Denkmal- oder Ensembleschutz nicht infrage käme, dann würden sie mit den Arbeiten erst starten, nachdem sie das Haus bestandsfrei gemacht hätten – was bei anderen Bauvorhaben nicht selten zu Missständen führt, wenn sich alteingesessene Bewohner „hinausgeekelt“ fühlen. Andererseits, wer ein Jahrhunderte altes Bauwerk von der Pieke auf herrichten will, schafft das nur mit Mühe und Einschränkungen, solange es teilweise oder voll oder bewohnt ist.
Im Falle der Schlossgasse 21 dachten die meisten Altmieter gar nicht daran, auszuziehen. In Anbetracht des geringen Zinses, den sie zu entrichten hatten, war das auch nachvollziehbar. Einige schienen sich in der morbiden Atmosphäre bröckelnder Bausubstanz richtig wohlzufühlen.
Der frühere Haupteigentümer Hans Dieter Leinwather hatte zwar versucht, einzelne Wohnungen mit lukrativen Angeboten freizukriegen. Aber ohne Erfolg. Also musste ein weitgehend bewohntes Haus saniert werden. Einige Altmieter weigerten sich sogar, im Zuge der Hausinstandsetzung auch ihre Wohnungen herrichten zu lassen (was ebenfalls vom Stadterneuerungsfonds gefördert worden wäre).
Nach Leinwathers Ableben übernahm der Architekt Johann Polach die weiteren Planungsarbeiten. Miteigentümer Claus Strohmaier hatte ihn empfohlen. Er ist auf nachfolgendem Foto rechts zu sehen, in der Mitte Strohmaier.
Wer Billigstbieter engagiert,
der ist am Ende oft frustriert.
In der Folge tauchten weitere Hürden auf: Für die Sanierung hatten sich – vom Baumeister bis zum Fliesenleger – Unternehmer aller Gewerke beworben. Es galt das Prinzip: Zum Zug kommt, wer am billigsten anbietet. Der Grundsatz ist zwar in der Ausschreibungspraxis weit verbreitet, dennoch bleibt er fragwürdig.
Im konkreten Fall der Schlossgasse 21 ging beispielsweise die Malerfirma in Konkurs, kurz nachdem sie angefangen hatte zu arbeiten. Mehrkosten waren vorprogrammiert, weil keine andere Firma zu den Preisen des Billigstbieters leisten wollte. Eine Förderung solcher Mehrkosten war vom Stadterneuerungsfonds aber nicht vorgesehen.
Unternehmen aus anderen Gewerken, die ebenfalls Billigstbieter gewesen waren, brachten zwar ihren Auftrag zu Ende, aber die Qualität ihrer Leistungen stellte sich später als mangelhaft oder wenig haltbar heraus.
Erschwerend kam hinzu, dass viel von der Bausubstanz vom alten Schloss Margareten während der beiden Wiener Türkenbelagerungen in den Jahren 1529 und 1683 verwüstet worden war. Was davon nachher wieder aufgebaut wurde, fiel im Jahr 1786 einem verheerenden Brand zum Opfer. Danach standen die Häuser leer.
Wo, was und wie nach jeder Beschädigung oder Zerstörung hergerichtet und umgebaut wurde, ist aus den alten Baukonsensen nur teilweise nachvollziehbar. Viele Umbauten waren Flickwerk, ohne Dokumentation.
Schloss Margareten Die ersten vierhundert JahreDer Zustand des Mauerwerks und der tragenden Geschoßdecken aus riesigen alten Holzbalken war außerdem viel desolater als es vor der Sanierung erkennbar gewesen war (einer meiner früheren Baumeister nannte das Haus eine „Bröselbude“).
1786: So wurde das alte Schlossgebäude zerstückelt
Dass man die alten Strukturen vom Schloss Margareten heute kaum mehr erkennt, ist nicht nur auf die genannten Verwüstungen zurückzuführen, sondern auch auf den Umstand, dass die Stadt Wien, die gegen Ende des 18. Jahrhunderts die Besitzerin der Liegenschaft war, das Schlossgebäude in einzelne Teile „zerlegte“ und die so entstandenen Teilgrundstücke („Parzellen“) im Jahr 1786 versteigerte (siehe https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Margaretner_Schloss).
Die Höchstbieter für jede Parzelle vererbten ihre damals erworbenen Teilstücke des alten Ensembles über Generationen hinweg an ihre Nachkommen. Am Ende hatte fast jede Parzelle mehrere Mitbesitzer, die zwar verwandt, aber oft untereinander zerstritten waren. So erklärt sich, warum nötige Sanierungen der Bausubstanz bis zuletzt ausgeblieben waren.
Es war also viel zu tun. Das Ziel, drei wichtige Parzellen vom alten Schloss Margareten zum heutigen Schlossquadrat wieder zusammenzuführen und instandzusetzen, sollte mich über zwanzig Jahre lang beschäftigen.
Von 1988 bis 1991 wurde die Liegenschaft Schlossgasse 21 saniert, es folgte ab 1997 das Haus Margaretenstraße 77, die Umbauten liefen in drei Etappen bis 2010.
Am längsten brauchte ich für den Margaretenplatz 2: Von 1992 bis 2008. Er ist nicht nur das größte Gebäude im Schlossquadrat, sondern er bringt, von der Schlossgasse 21 aus gesehen, auch die funktionelle Anbindung an den Platz, das historische Zentrum des Bezirks.
Auf folgendem Kupferstich aus 1774 sieht man an einer – von mir gelb eingezeichneten – Linie, dass die heutigen Grundstücke Schlossgasse 21 (links) und Margaretenplatz 2 (rechts) zusammen gehören; mit der Versteigerung im späten 18. Jahrhundert wurden sie in zwei Parzellen getrennt (der senkrechte gelbe Strich markiert die Grenze zwischen den Parzellen).
Die gelb markierte Trennung in zwei Parzellen war willkürlich, die beiden Gebäudeteile gehören zusammen.
1992 – 2004: Hindernisse am Weg zur „Wiedervereinigung“.
Bereits im Jahr 1992 hatte sich eine Chance zur Wiedervereinigung ergeben: Zwei Mitbesitzer der Liegenschaft Margaretenplatz 2 boten mir den Verkauf ihrer 50/100 Anteile an; mein Vater erwarb sie kurze Zeit später.
Es folgten langwierige Verhandlungen mit den noch verbliebenen Miteigentümern. Die Gespräche zogen sich über fünf Jahre dahin und endeten ohne Ergebnis. Ich war frustriert und sah kaum Chance auf eine gütliche Einigung.
Mit der Übernahme der Liegenschaft Margaretenstraße 77 mitsamt dem damals dort betriebenen Lokal Octopusi (siehe Kapitel „Wirt“) änderte ich die Strategie.
Denn nun war es möglich geworden, die Innenhöfe der Schlossgasse 21 und der angrenzenden Margaretenstraße 77 durch einen neuen Durchgang miteinander zu verbinden. Zur Zeit vom alten Schloss Margareten war fast der ganze Innenbereich eine Freifläche gewesen. Was für ein riesiger Hof muss das damals gewesen sein! Er öffnete zum damaligen Schlossgarten, an dessen Stelle sich heute die Gartengasse befindet.
Der neue Verbindungsweg sollte nicht nur eine Öffnung ins Innere wieder herstellen, sondern auch zur Neubelebung des Ensembles beitragen.
Auf folgendem Luftbild kann man man die heutigen Umrisse des Schlossquadrats erkennen. Mit etwas Phantasie lässt sich ermessen, wie groß das unverbaute Innere des Häusergevierts gewesen sein muss:
Wer nicht mehr mit dem andern spricht,
der landet oftmals vor Gericht.
Ursprünglich wolle ich von den anderen drei Miteigentümern nur die Zustimmung, die an die Schlossgasse 21 angrenzende Hälfte des Hauses nach meinen Vorstellungen sanieren und nutzen zu dürfen, aber meine Vorschläge zu einer Realteilung der Liegenschaft und später zu einer sogenannten Pariphizierung (so heißt die Umwandlung von Mietobjekten in Wohnungseigentum) wurden von den anderen Besitzern entweder zurückgewiesen oder ignoriert.
Mit 50 von 100 Anteilen hat man zwar eine Hälfte, aber eben nicht die Mehrheit im Haus. Das führt oft zu einer Pattsituation. Erschwerend schien, dass die alten Miteigentümer allesamt Nachfahren des Seidenbandmachers Franz Praller waren, der im Jahr 1786 das Haus Margaretenplatz 2 ersteigert hatte. Sie sahen meinen Vater, meinen Bruder (der damals an vielen Verhandlungen beteiligt war) und mich als unliebsame „Eindringlinge“.
Die erste Haushälfte, die ich im Jahr 1992 sichern konnte, hatte zwei Brüdern gehört, die mit den anderen Besitzern vom Margaretenplatz 2 zwar verwandt, aber verfeindet waren: Die beiden hätten schon früher Teile des Dachbodens ausbauen wollen, sie waren jedoch genauso am Widerstand ihrer Miteigentümer gescheitert wie ich.
Schließlich resignierten die Brüder und boten mir ihre Anteile zum Kauf an. Von der Vorgeschichte dieses Familienzwists erfuhr ich erst später.
Ich unterschätzte zu Beginn daher die Hartnäckigkeit, mit der sich „die andere Fraktion“ der Eigentümer meinen Sanierungs- und Gestaltungsvorschlägen widersetzte. Denn das Haus war längst baufällig, das war auch für Laien erkennbar. Hätte die interne Blockade noch länger angedauert, wäre eine leistbare Sanierung womöglich zu spät gekommen.
1998 Letzter Ausweg: Teilungsklage
Nach fünf Jahren fruchtloser Verhandlungen resignierte ich und beauftragte einen Anwalt, die Teilungsklage einzubringen. So eine Maßnahme führt am Ende zur öffentlichen Feilbietung der ganzen Liegenschaft.
Das war insofern riskant, als man vorher nicht weiß, wieviele potentielle Käufer zur Versteigerung kommen: So hätte ein interessierter Fremder bei einer – von mir erzwungenen – Versteigerung einen so hohen Preis bieten können, dass wir vielleicht aussteigen hätten müssen, weil das ganze Projekt sonst zu teuer geworden wäre.
Dann wären unsere 50/100 Anteile zwar zu einem guten Preis verkauft, meine Pläne zur Wiedervereinigung jedoch hinfällig geworden.
Der Druck der nahenden öffentlichen Versteigerung brachte im letzten Moment doch noch Bewegung in die Sache: Am 16. April 1998 konnte mein Vater mit einem von mir ausgehandelten Vertrag einen weiteren Achtel-Anteil des Hauses erwerben. Am 2. Juli 1998 verkaufte ein weiterer Mitbesitzer seinen 1/4 Anteil.
Zuletzt verblieb nur mehr ein Achtelanteil vom Margaretenplatz 2 in „fremder Hand“: Was auch immer ein anderer Kaufinteressent bei der Versteigerung geboten hätte, wir hätten sehr wahrscheinlich mitziehen können, denn es wäre für uns nur mehr um „das letzte Achtel“ eines – allenfalls in die Höhe lizitierten – Preises gegangen, für jeden anderen Mietbieter dagegen um die vielfach höhere Summe für das ganze Haus.
Am 6. Juli 1998 kam die Liegenschaft unter den Hammer. Es erschien kein einziger Mitbieter, wir erhielten somit die letzten Hausanteile zum günstigen Ausrufungspreis.
Wenig später befanden sich alle drei Liegenschaften, Margaretenplatz 2, Schlossgasse 21 und Margaretenstraße 77, im Eigentum der – von meinem Vater und mir inzwischen gegründeten – Schlossquadrat Immobilien GesmbH.
Drei wesentliche Parzellen vom alten Schloss waren damit nach mehr als zweihundert Jahren wieder „in einer Hand“ vereint.
Nachstehend der Beschluss des BG Innere Stadt zur Teilungsklage.
Es vergingen aber noch weitere sieben Jahre, bis die Baugenehmigung für die Totalsanierung des Hauses Margaretenplatz 2 erteilt wurde – über die Hintergründe berichte ich weiter unten.
Alte Häuser
stehen aus Gewohnheit
Um die Chronologie halbwegs zu wahren, muss ich an diesem Punkt zu den baulichen Adaptierungen vom Silberwirt und der Margaretenstraße 77 zurückkehren.
Im Silberwirt war im Jahr 1998 ursprünglich eine sanfte Sanierung vorgesehen. Aber es kamen gravierende bauliche Mängel zum Vorschein: So war ein vier Meter langer Teil der statisch tragenden Mittelmauer des Hauses einfach abgerissen worden. Der Statiker, der das entdeckte, sprach von Glück, dass das Haus überhaupt noch steht. „Alte Häuser stehen aus Gewohnheit“, kommentierte mein Architekt Klaus Becker trocken.
Auf nachstehendem Foto sieht man im Bereich der Decke mächtige verkleidete „Unterzüge“ – das sind Stahlträger, die eingebaut werden mussten, um die „verschwundene“ Mittelmauer statisch zu ersetzen.
Margaretenstraße 77: Tiefe Eingriffe
Auch in der Margaretenstraße 77 liefen nach dem Erwerb der Liegenschaft umfangreiche Umbauarbeiten an (siehe das Kapitel „Wirt“). Das gesamte Lokal wurde nicht nur komplett entkernt, sondern auch ein geräumiger neuer Keller ausgehoben:
Solche Eingriffe sind nur möglich, wenn man Besitzer der Liegenschaft und Betreiber des geplanten Lokals in Personalunion ist.
In Etappen wurden neben dem Lokal Cafe Cuadro zwei Büros und sechs Apartments errichtet, die voll möbliert sind und gewerblich vermietet werden:
So sah eines der möblierten Apartments nach der Sanierung der Margaretenstraße 77 aus.
Margaretenplatz 2: Der dritte Streich
Aber der „größte Brocken“ meines Projekts zur Wiedervereinigung von Parzellen war damit noch nicht erledigt: Die Sanierung des Hauses Margaretenplatz 2. Es verfügt über deutlich mehr Nutzfläche als die Schlossgasse 21 und die Margaretenstraße 77 zusammen. Die Bausubstanz war genauso schlecht.
Um 1900 sah das Haus noch besser aus:
Erfahrungen aus vorangegangenen Sanierungen veranlassten mich, vor Baubeginn die noch vermieteten Wohnungen und Geschäftslokale so weit wie möglich freizukriegen. Das war richtig und wichtig: Im vierstöckigen Trakt des Hauses mussten, wie sich später zeigte, nahezu alle Decken abgebrochen und erneuert werden, nur die äußeren Mauern und das Stiegenhaus blieben damals stehen. Wenn damals noch Mieter dort gewohnt hätten, wäre das nicht möglich gewesen.
Es folgten Verhandlungen mit jedem einzelnen Mieter, bei denen es um die Frage ging, wieviel jeder haben will, damit er auszieht. Bis auf zwei Fälle waren sie erfolgreich.
In einem Fall ging es nur um eine 30 m2 kleine Wohnung in einem Seitentrakt des Hauses; die Mieterin wollte um nichts in der Welt ausziehen, also musste ich diesen unbedeutenden Teil des Hauses „um die Altwohnung herum sanieren“ (wie das in der Schlossgasse 21 im überwiegenden Ausmaß der Fall gewesen war).
Der zweite Fall betraf mehrere Räumlichkeiten im Erdgeschoss, in denen sich heute die Trattoria Margareta befindet. Sie waren seit den 1960-er Jahren an die Firma Palmers vermietet, die nur eine geringe Miete zahlte und sich weigerte, auszuziehen.
Ohne eine Freimachung dieses Objekts wäre die Sanierung des Hauses kaum machbar gewesen; so hätte ein Lift nur auf einer Teilfläche der Palmers-Filiale sinnvoll machbar gewesen. Da das Haus vom Keller bis ins Dach fünf Geschoße hat, schien der Einbau eines Aufzugs unabdingbar.
Es folgte ein jahrelanger gerichtlicher Prozess, bei dem es unter anderem um die Frage ging, ob die Firma Palmers einen höheren, marktüblichen Zins zahlen muss. Den darf man als Vermieter nur dann verlangen, wenn entweder ein neuer Mieter einzieht oder wenn sich beim Altmieter die „wirtschaftlichen Eigentumsverhältnisse maßgeblich geändert“ haben.
Der Nachweis, dass das letztere bei Palmers der Fall war, erforderte sehr aufwendige Recherchen durch den Rechtsanwalt Karl F. Engelhart. Denn das alteingesessene Textilunternehmen, an dem auch zahlreiche Familienmitglieder beteiligt waren, hatte zuvor komplex verschachtelte Umstrukturierungen vorgenommen, bei denen es im Endeffekt darum ging, wer im Konzern das Sagen hat.
Das Urteil des Obersten Gerichtshofes war richtungweisend, es erging am 10. Februar 2004 und bestätigte unsere Rechtsauffassung, wonach eine Anhebung des Mietzinses berechtigt war.
Palmers OGH-UrteilAus dieser Zeit datiert der folgende Eintrag in meinem Tagebuch: „Palmers-Prozess ist gewonnen!“ Der neue Chef des Unternehmens, ein Herr Neidhardt, kam in den Silberwirt zur Besprechung und wir besiegelten die Einigung über die Freimachung des Objekts nach kurzer Diskussion per Handschlag.
Endlich Bahn frei
Schon vorher hatte ich darüber nachgedacht, wie das Haus Margaretenplatz 2 neu gestaltet werden könne, wenn es einmal so weit ist. Dass die Nutzflächen in den oberen Stockwerken als Wohnungen leicht vermietbar sein würden, war zu erwarten, desgleichen die Geschäftslokale im Erdgeschoß am Margaretenplatz. Aber im hinteren Trakt des Hauses waren noch knapp 700 m2 Nutzfläche frei; wie sie adaptiert werden sollten, war unklar.
Es begann die aufwendigste Planungsphase in meiner Laufbahn: Sage und schreibe 8 Etappen und 14 Varianten für Verwertungskonzepte wurden gemeinsam mit Architekt Klaus Becker durchgeplant und geprüft. Auszüge finden sich in meinem Tagebuch aus dem Jahr 2005:
Etappen der Planung am Margaretenplatz 2Architekt Klaus Becker (links), Grafiker und „Erfinder“ des Schlossquadrat-Logos Richard Donhauser (rechts) und Hausherr Stefan Gergely im Gastgarten vom Silberwirt.
Es erntet oft und viel Verdruss,
wer Denkmalbau erneuern muss.
Parallel zur Entwicklung von Verwertungskonzepten für das Erdgeschoß vom Margaretenplatz 2 fanden zahlreiche Gespräche mit dem Bundesdenkmalamt statt, das bei allen Umbauten von Häusern ein gewichtiges Wort mitredet, die kraft Bundesgesetz unter Schutz stehen wie das Schlossquadrat. Zahlreiche Änderungsvorschläge wurden abgelehnt.
Die Einwände des Bundesdenkmalamtes brachte mich in einzelnen Phasen der Planung zur Verzweiflung. Nie hätte ich gedacht, dass sich die Widersprüche zwischen gesetzlichem Erhaltungsauftrag und notwendiger Erneuerung so krass und hinderlich zeigen würden.
Insbesondere beim Ausbau vom Dachgeschoß kam es zu mühseligen Diskussionen. Ich wollte möglichst geräumige Terrassen für zwei große Wohnung errichten. Im Straßentrakt des Hauses wurden mir aber nur zwei relativ kleine Freiflächen genehmigt, und das, obwohl sie sich im Innenhof befanden und auch größere Flächen kaum sichtbar gewesen wären.
Für mein späteres Büro wollte ich eine große hofseitige Gaupe als kleinen Wintergarten ausgestalten – selbst dieses Vorhaben scheiterte am Einspruch der Denkmalschützer.
Dafür wurden zahlreiche denkmalpflegerische Aufträge erteilt, die die Baukosten in die Höhe trieben. Ohne finanzielle Hilfe des Vaters hätte ich für die Sanierung einen Bankkredit aufnehmen müssen.
Ungeachtet der Hindernisse entwarf ich die folgenden Leitlinien für das Projekt Margaretenplatz 2:
Die bewegte Geschichte des Schlossgebäudes hat in den Gemäuern ihre Spuren hinterlassen, davon zeugen zahlreiche Umbauten, zugemauerte alte Durchgänge, tiefe Brunnen und zahlreiche Schichten an der Fassade, Reste früherer Instandsetzungen.
Die Sanierung in den Jahren 2001 bis 2007 hat zum Ziel, das historisch gewachsene Ensemble – unter behutsamer Beibehaltung seines Erscheinungsbildes – statisch und bautechnisch gleichwohl von der Pieke auf zu modernisieren. Zum Sanierungsprogramm gehören Auswechslungen alter Holzdecken und aufwendige
Unterfangungen von Pfeilern ebenso wie der komplette Austausch von Wasser-, Gas- und Elektroleitungen sowie der Kanalisation. Darüber hinaus wird das Dachgeschoss zu modernen Wohnungen ausgebaut, zwei Lifte sorgen für zeitgemäßen Komfort.
Bei der Sanierung wird Augenmerk gelegt auf Lärmschutz, energiesparende und umweltschonende Technik sowie auf allergiefreie Materialien. So weisen die Schlafzimmerfenster eine Verglasung mit erhöhtem Schallschutz auf, geheizt wird mit modernen Brennwert-Thermen, Fassaden und Innenwände sind mit wasserdurchlässigen Anstrichen versehen.
Leitlinien für die Gestaltung der Wohnungen sind:
– offene Grundrisse bei den Wohnbereichen, die Schlafzimmer als Rückzugsbereich
– Flexibilität in der Anordnung und Nutzbarkeit der Räume
– Pawlatschengänge, Dachflächen und Terrassen zur Grüngestaltung nutzbar
– guter Lärmschutz, gute Wärmedämmung, geringe Energiekosten
– natürliche Werkstoffe (Holzdielenböden etc.) und weitgehende Vermeidung von Allergieauslösern
– Sicherheitstechnik auf modernstem Niveau
Die Gestaltungsüberlegungen für das Wohnhausprojekt ergeben sich aus dem Anspruch, möglichst offene und fließende Grundrisse mit zusammenhängen Bereichen zu schaffen. Der Anteil der geschlossenen Zwischenwände wird stark reduziert und durch eine transparente Holz-Glas-Konstruktion ersetzt; durch diese optische Erweiterung entstehen räumliche Verbindungen von Wohn-, Essplatz und Küche. Die Schlafzimmer dagegen sind als Rückzugsbereiche konzipiert, das heißt, sie sind optisch und schallschutztechnisch von den anderen Wohnbereichen abgetrennt.
Maßgebliche Untersuchungen über aktuelle Änderungen im Verhalten der Menschen sowie davon abgeleitete Zukunftsprognosen ergeben einen steigenden Wunsch nach Flexibilität: Umgelegt auf die Wohnungsplanung bedeutet das, dass – wo immer machbar – für geplante Nutzungen von Räumen auch Alternativen mitgedacht und vorgesorgt sind; so können aus einem großen Kinderzimmer durch Raumteiler deren zwei werden; statt des Kinderzimmers ist auch eine Nutzung als Büro-/Arbeitszimmer möglich.
Die Zunahme von Allergien in der Bevölkerung ist allgemein bekannt. Die Ursachen dafür sind vielfältiger Natur. Bestandteile von Lösungsmitteln, Staub und dgl. spielen jedenfalls eine gewichtige Rolle. Daher wird bei der Wahl der Materialien, insbesondere der Anstriche und Oberflächenbehandlungsmittel auf allergenfreie Varianten geachtet. Die Heizkörper sind beispielsweise als Plattenheizkörper ausgeführt, wodurch Ansammlungen von Hausstaub leicht vermieden werden können.
Die Terrassen, Pawlatschengänge, Balkone, Dachgärten sowie der Innenhof sind technisch zur gärtnerischen Begrünung vorbereitet (Tropfbewässerung, z.T. mit Feuchtigkeitssteuerung).
Das steigende Bedürfnis vieler Menschen nach Sicherheit ist evident. Ihm wird Sorge
getragen durch Zugangsschutz im Bereich des Haupttores und der Stiegenhäuser, Sicherung der Lifte, mit Bewegungsmeldern gesteuertes Hof- und Stiegenhauslicht, Videoüberwachung in den zentralen öffentlichen Bereichen sowie einbruchhemmende Ausführung der Wohnungseingangstüren.
Video der Schlossquadrat Story
Der folgende Film dokumentiert die einzelnen Etappen des Baugeschehens, er wurde von Michael Gigerl (er heißt jetzt Wanits) und Michael Schumpelt gestaltet und ist sehenswert:
2007: Endlich ist auch der Margaretenplatz 2 saniert
Im September 2007 war es dann so weit: Das Haus wurde von Weinpfarrer Hans Denk feierlich eingeweiht:
So sah die Musterwohnung aus, die als erstes fertig gestellt wurde, um sie Schaulustigen herzeigen zu können:
Nachstehend das Foto von einer großen Wohneinheit im Dachgeschoß:
Im November 2007 wurde im Haus Margaretenplatz 2 die Trattoria Margareta eröffnet:
In einer Vitrine ums Eck vom Eingang in die Trattoria Margareta ist eine Tafel zur Erinnerung an die wechselvolle Geschichte des Hauses zu sehen:
Soweit zur Chronik der baulichen Entstehung des Schlossquadrats. Anfang der 2020-er Jahren begann ich, über die thermische Sanierung der Wohnungen und den Einbau von Wärmepumpen nachzudenken. Anlass waren Warnungen der Wissenschaftler vor einer prognostizierten Erderwärmung mit Folgen für das Weltklima sowie Forderungen nach dem Ausstieg aus fossilen Energieträgern, die für den Temperaturanstieg verantwortlich gemacht wurden.
Die erste Musterwohnung mit Wärmepumpe anstatt Gastherme wurde im Jahr 2023 in der Schlossgasse 21 fertig gestellt.
Wie es mit der sogenannten Decarbonisierung im Schlossquadrat weitergehen wird, ist zur Zeit (2024) aber noch offen. An einer deutlich besseren Wärmedämmung auch in Altgebäuden wird wohl kein Weg vorbei führen. Aber der Umstieg auf neue Heiz- und Kühlsysteme ist eine Mammutaufgabe, deren Finanzierung und rechtliche Durchsetzung derzeit noch nicht absehbar ist.
2014:
Patente wurden viel erdacht,
im Hause Gartengasse 8.
Nach Umbau, der Verdruss gebracht,
ist es zum Wohnen neu gemacht.
Architektenentwurf für die sanierte Gartengasse 8 (2013)
Das Haus Gartengasse 8 hat in dreifacher Hinsicht mit dem sogenannten Schlossquadrat in Wien-Margareten zu tun:
Erstens befanden sich anstelle der Gartengasse früher eine Maulbeerbaumschule und der Garten eines mittelalterlichen Schlossgebäudes (das heute Schlossquadrat heißt). Ein Kupferstich aus dem Jahr 1762 zeigt das Areal aus der Vogelschau – rechts ist in der Mitte das Schlossgebäude zu sehen, links davon sind zahlreiche Maulbeerbäume in geometrisch geplanter Anordnung eingezeichnet.
Zweitens war die Gartengasse auch für das Schlossquadrat wichtig, und das kam so: Ab dem Jahr 1957 hatte der Erfinder Gerhard Gergely über fünfzig Jahre lang in der Gartengasse 8 geforscht, entwickelt und produziert. Seine zahlreichen Patente erbrachten namhafte Lizenzeinnahmen. Ein Teil davon wurde für Ankauf und Renovierung der Liegenschaften im Schlossquadrat verwendet.
Drittens war die Gartengasse danach selbst sanierungsbedürftig geworden. Nun waren es die Söhne des Erfinders, Thomas und Stefan Gergely, die die bauliche Erneuerung finanzierten. Im Fall des jüngeren Sohnes Stefan kamen die Mittel aus den Mieterlösen im Schlossquadrat.
Chronik der Gartengasse 8
Thomas Gergely interessierte sich im Jahr 2011 für die historische Entwicklung des Areals. Er ließ die Jahresringe der Bäume analysieren, die zur Errichtung des Bauwerks Gartengasse 8 gedient hatten.
Experten der Universität für Bodenkultur kamen zum Ergebnis, dass die Dippelbäume der abgebildeten Decken zwischen Herbst 1817 und Frühling 1818 gefällt worden sein mussten. Demnach dürfte die Gartengasse 8 im Jahr 1818 oder etwas später erbaut worden sein.
Zuvor hatte es rund um das Schloss Margareten nur kleine Behausungen gegeben, die längst nicht mehr existieren. Wein- und Küchengärten, Wiesen sowie Maulbeerbäume prägten das ländliche Erscheinungsbild: Margareten war ja nur ein kleines Dorf in der Wiener Vorstadt.
Im Jahre 1727 hatte die Stadt Wien dieses Areal übernommen und teilte es in mehrere Grundstücke auf. Sie wurden im Oktober 1786 öffentlich versteigert. Danach wurden insgesamt 41 Bauparzellen erschlossen und die heutige Gartengasse und Hofgasse angelegt. Nach und nach entstand ein kleingewerbliches Siedlungsgebiet.
Das aus der Analyse der Baumringe ermittelte Datum stimmt mit dieser Chronologie überein.
Als erster Besitzer der Parzelle Gartengasse 8 ist ein Mathias Steuerer ausgewiesen. Für welche Zwecke er das Grundstück erwarb und in der Folge ein Haus baute, ist nicht überliefert.
Erst aus dem Jahr 1830 liegen Dokumente vor, wonach Karolina Augusta von Bayern, damals die Gemahlin von Kaiser Franz II. von Österreich, in diesem Gebäude eine „Kleinkinderbewahranstalt“ errichten ließ.
Eine derartige soziale Einrichtung war für die damalige Zeit ebenso ungewöhnlich wie der Umstand, dass sich eine Kaiserin dafür einsetzte (siehe dazu den folgenden Link: http://www.kindergartenpaedagogik.de/1233.html).
Das Sozialprojekt war mehr als hundert Jahre lang erfolgreich. Der „Kleinkindergarten“ überdauerte sogar die Wirrnisse des ersten Weltkriegs.
Erst in den späten 1940-er Jahren begannen neue Eigentümer, ätherische Öle, kosmetische Artikel und Parfümeriewaren in der Gartengasse 8 herzustellen.
Am 3. April 1957 erwarb der Chemiker und Erfinder Gerhard Gergely sowohl die Liegenschaft als auch das Zubehör – siehe nachstehenden Auszug aus dem Kaufvertrag.
Im selben Jahr gründete er die Kommanditgesellschaft Dr. Gergely & Co. und beteiligte sich außerdem an der Wiener Firma Chemofux. Diese hatte damals eine Schlucktablette mit Vitamin C in Registrierung.
Die Erfindung der Brausetabelle
Gerhard Gergely machte daraus die erste pharmazeutische Vitamin C Brausetablette:
Das folgende Foto zeigt Gerhard Gergely (rechts im Bild) mit seinem langjährigen Mitarbeiter Pepi Janeschitz, es dürfte Ende der 1960-er Jahre entstanden sein.
In der Gartengasse 8 erfand Gerhard Gergely auch den Topogranulator (auch Topo Granulator genannt), der erstmals den Einsatz von Vakuum für die Herstellung von Arzneimitteln möglich machte. Nachfolgend die Titelseite eines Prospekts über die Topogranulation:
Im Lauf der Jahre wurden in der Gartengasse 8 mehr als hundert verschiedene Produkte entwickelt und Dutzende Patente zu deren Herstellung erteilt, ab den 1970-er Jahren gemeinsam mit Irmgard, der zweiten Ehefrau von Gerhard Gergely. Nachstehend ein Foto von Irmgard und einem für Laborzwecke gebauten kleinen Topo Granulator:
Damals war auch der Dachboden der Gartengasse 8 erschlossen und ein geräumiges Lager unterhalb des Hofgartens errichtet worden. Doch der wirtschaftliche Erfolg war bald größer als der durch Ausbauten erzielte Raumgewinn.
Im Jahr 1981 verkaufte Gergely die pharmazeutische Produktion; sie wird seither in der Stadtgemeinde Wolfsberg im Lavanttal unter verschiedenen Eigentümern fortgeführt.
In der Gartengasse 8 verblieb die Herstellung von Aromen für die Lizenznehmer des Erfinders. Auch die Entwicklungsarbeiten wurden dort noch weitere 25 Jahre lang fortgesetzt.
Im Jahr 2006 ging dann die Produktion der Aromastoffe an die Münchner Firma Hermes Pharma.
Umbau und Sanierung der Gartengasse 8
Im Jahr 2010 übertrug Gerhard Gergely das inzwischen weitgehend leerstehende Haus seinen Söhnen Thomas und Stefan. „Ich habe damals die weitere Verwertung der Gartengasse 8 verdrängt und hätte auf das Abtreten unseres Vaters von dieser Welt gewartet“, schreibt Thomas Gergely in seinen Erinnerungen; „mein Bruder hingegen meinte, dass auch wir nicht jünger werden und dass wir uns irgendetwas überlegen sollten“.
Dass die bauliche Substanz des Hauses zu wünschen übriglässt, vermuteten wir beide. Erste statische Untersuchungen bestätigten die Einschätzung. Aus den Erfahrungen mit der Sanierung der alten Liegenschaften im Schlossquadrat wusste ich bereits zur Genüge, welcher Aufwand damit verbunden sein kann.
Aber das Ausmaß der baulichen Mängel – und der dadurch erforderlich werdenden – Reparaturen sollte unsere schlimmsten Befürchtungen übertreffen. Das erfuhren wir jedoch erst geraume Zeit nach Baubeginn.
Über den Ablauf dieser Sanierungsarbeiten, die jahrelange gerichtliche Auseinandersetzungen nach sich ziehen sollten, informieren die folgenden Fotos.
Entscheidend ist im Rückblick, dass das Haus Gartengasse 8 vom Keller bis ins neu ausgebaute Dachgeschoß zukunftsfit geworden ist.
Die Hindernisse während des Umbaus hinderten uns auch nicht, im Sommer 2013 eine stimmungsvolle Gleichenfeier auszurichten. Sie endete im Gastgarten der Schlossgasse 21. Nachstehendes Bild zeigt den Architekten des Sanierungsvorhabens, Eduard Neversal (in der ersten Reihe mit der Hand am Weinglas) sowie v.l.n.r. Haustechnik-Planer Christian Steininger, Thomas Gergely und in der zweiten Reihe den Gartengestalter Jörg Obenaus, Rechtsanwalt Karl Engelhart und Irmgard Gergely:
Aber zurück zum Start: So sah die Gartengasse kurz nach Beginn der Sanierungsarbeiten aus:
Bald stellte sich heraus, dass das Innere des Gebäudes aus statischen Gründen komplett entkernt werden musste:
Weil auch die Fundamente im Keller nicht ausreichend dimensioniert erschienen, wurde der Untergrund mit aufwendigen Betoninjektionen nach dem sogenannten Düsenstrahlverfahren ertüchtigt:
Danach wurden die Geschoßdecken abgerissen und in Beton neu errichtet, vom Keller bis zum Dach und in zahlreichen zeitraubenden Etappen:
Sogar die Außenmauern auf der Straßen- und der Hofseite entpuppten sich als desolat; sie wurden ebenfalls abgetragen und neu hergestellt:
Nach zwei Jahren Bauzeit wurde das Dachgeschoss mit massiven Stahlträgern neu aufgebaut und um eine zweite Ebene erweitert, die heute als Dachterrassen gern genützt werden:
Nachstehend die Planskizze für Stahlträger und zweite Ebene im Dachgeschoß:
Gegen Ende des Umbaus wurde der Garten im Innenhof des Hauses zur Begrünung neu hergerichtet:
So sieht die Fassade der Gartengasse 8 heute aus:
Das Hauszeichen, die Ziffer 8, stellt ein Möbiusband in zweidimensionaler Projektion dar, das ist eine sogenannte Endlosschleife, die nicht orientierbar ist, weil man nicht zwischen unten und oben oder zwischen innen und außen unterscheiden kann: Wer mit dem Finger an einem Möbius-Band entlangfährt, gelangt nie an ein Ende, sondern immer und immer wieder zum Ausgangspunkt zurück.
Das Symbol erinnert an das Interesse des Erfinders Gerhard Gergely für höhere Mathematik und das Phänomen der Unendlichkeit.
Nachbemerkung: Im Jahr 2024 stellte das im Jänner 1957 gegründete pharmazeutische Unternehmen Dr. Gergely & Co. seine Tätigkeit ein, weil die Gültigkeit der Patente abgelaufen war. Zahlreiche Produkte werden aber weiterhin in zahlreichen Ländern der Welt gemäß den in der Gartengasse 8 entwickelten technischen Verfahren hergestellt