Wirt

Bierdeckel mit Sprüchen – Serie 2014.
Grafik: Richard Donhauser.

Inhalt:

  • Wer nix wird, wird Wirt
  • „Off Limits“ war die erste Wahl, als Firmenname fürs Lokal
  • Betriebsanlagen, die gewerblich, sind oft für Neulinge verderblich
  • Planen kann man Tag und Nacht, doch kommt‘s oft anders als gedacht
  • Anstelle einer Cocktailbar entsteht ein neuer Beiselstar
  • 1990 bis 1997: Die „wilden Jahre“
  • Für Lokale zählt das Team, das gilt in London, Rom und Wien
  • Sehr lebhaft war die erste Zeit mit Parties, Schnaps und Heiterkeit
  • Ländliche Tradition wird auch in die Stadt lebendig
  • Mehr Grün gedeiht im Innenhof
  • Guter Wein und und gute Steaks
  • 1992: Die erste Edelbrand-Bar
  • 1997: Kampf um die Sperrstunde im Gastgarten
  • Es lenkt den Lebensplan, oft unerwartet, ein neuer Start, der gut geartet
  • Wer Streit mit andern sucht, der sollte gute Waffen haben
  • 1997: Wende zur „Wiedervereinigung“
  • 1998: Silberwirt: Neueröffnung nach Sanierung
  • 1999 Vom „Wirt“ zum „Kaffeesieder“ – Cafe Cuadro
  • 2000: Das Schlossquadrat hebt ab
  • 2006: Aus der Schlossgasse 21 wird das Gergely’s
  • 2007: Die Pizzeria macht viel Lust, doch der Magistrat macht Frust
  • Vom Grätzl zur Marke
  • Über den Tellerrand schauen
  • 2010: Gegen Trennwände für Nichtraucher
  • 2016: Mir ist das Bauen und Gestalten, viel lieber als es zu verwalten; drum ist es irgendwann im Leben, auch an der Zeit zum Übergeben
  • Vom „Wirt“ zum „Landwirt“

Wer nix wird, wird Wirt.

An der Stelle des heutigen Restaurants Gergely’s war früher der Hafnermeister Eduard Zisser eingemietet.

Mitte der 1980-er Jahre eröffnete an dieser Hausecke eine kleine Cocktailbar namens  Ackermann. Auf dem Heimweg von meinem Büro in der nahe gelegenen Gartengasse 8 kehrte ich nicht selten dort ein und bestellte mein damaliges Lieblingsgetränk: Planter‘s Punch.

Die folgenden Bilder sind technisch mangelhaft, sie vermitteln nur einen groben Eindruck vom Lokal und seinem Angebot an Cocktails.

Eines Abends fragte mich der Eigentümer Michael G. Bistekos, ob ich sein Lokal übernehmen wolle. Die Idee einer eigenen kleinen Bar gefiel mir, zumal ich gerne Cocktails trank.  Schon als Chemiestudent hatte ich davon geträumt, einen Würstelstand aufzumachen. Aber auch eine kleiner Bar schien attraktiv.

Damals war ich als Wissenschaftsjournalist, Buchautor und Konsulent zwar gut ausgelastet (siehe „Autor“ und „Kämmerer“), dachte aber an Berufskollegen, die ins gastronomische Geschäft quereingestiegen waren, wie beispielsweise der deutsche Boulevardjournalist Michael Graeter mit seinem – damals als Kultlokal gefeierten – Lokal „Extrablatt“ im Münchner Szeneviertel Schwabing.

Im Ackermann gab es keine Küche. Damit hatte ich kein Problem, weil eine Küche wollte ich mir ohnehin nicht antun. Das Cocktailmixen würde ich schon schaffen, so meine Überlegung, und das finanzielle Risiko schien überschaubar. Es sollte vor allem eine Hetz sein, meinte ich damals – ähnlich wie viele andere, die das Gastgewerbe für einfach und einträglich zugleich halten (was mich im Rückblick bestenfalls amüsiert).

Die Idee einer eigenen Cocktailbar sollte, ohne dass ich es je vorausschauend geplant hatte, weitreichende Folgen haben:

  • den sukzessiven Aufbau von vier Lokalen zu einem beschaulichen Grätzel mit begrünten Innenhöfen, das heute als Schlossquadrat bekannt ist.
  • die Sanierung von denkmalgeschützten Liegenschaften samt Wohnungen und Geschäftslokalen, deren Bausubstanz auf das Schloss Margareten im 14. Jahrhundert zurückgeht (siehe Kapitel „Bauherr“).

„Off Limits“ war die erste Wahl,
als Firmenname fürs Lokal.

Nachdem ich das schriftliche Abtretungsanbot des Ackermann-Betreibers erhalten hatte, pilgerte ich  zum Eigentümer der Liegenschaft; er hieß Hans Dieter Leinwather und war planender Bauunternehmer für die Haussanierung.

Eine Instandsetzung war damals überfällig, denn so sah es im Innenhof der Schlossgasse 21 vor Beginn der Instandsetzung aus:

Die folgende Galerie zeigt Bilder von Alt-Margareten aus dem frühen 20. Jahrhundert und vom Silberwirt der 1960-er Jahre:

Ich fragte Leinwather wegen eines Mietvertrages für das Lokal und bekam die Zusage; außerdem erhielt ich die Option für den Kauf eines größeren Bereichs im Erdgeschoß, angrenzend an das Lokal. Wenig später nahm ich das Abtretungsangebot des Ackermann-Betreibers an.

Jetzt war noch ein Unternehmen zu gründen: Ich wählte als Rechtsform die GesmbH und nannte die neue Firma „Off Limits Barbetrieb“. Sie wurde am 14. Dezember 1986 im Amtsblatt der Wiener Zeitung kund gemacht.

Betriebsanlagen, die gewerblich,
sind oft für Neulinge verderblich.

Wenig später zeigte sich, dass ich beim Einstieg in die Selbständigkeit reichlich naiv vorgegangen war, schlampiger als beim Recherchieren für journalistische Beiträge: Denn der Ackermann verfügte nicht über die gesetzlichen Voraussetzungen für eine gewerbliche Betriebsanlage, teilte mir das Magistratische Bezirksamt auf Anfrage mit. Um eine solche Genehmigung zu erfüllen, seien erhebliche Umbauten für Lüftung und Toiletten erforderlich. Na bumm.

Ich hätte auf Rückabwicklung des Abtretungsvertrags klagen oder das Investment in den Sand schreiben können.

Soweit ich erinnern kann, dachte ich über diese Optionen nicht nach.

Ich hätte den Ackermann auch vorübergehend weiterführen können, so wie er war. Aber er wäre eine „illegale“ Cocktail-Bar gewesen. Wenn das aufgeflogen wäre, dann hätte ich fürs „Profil“ womöglich nicht mehr schreiben dürfen. Das war mir zu riskant.

Der Hauseigentümer Leinwather hatte anlässlich der Gespräche über den Mietvertrag versichert, dass das Haus im Jahr 1987 vom Keller bis ins Dach saniert werden würde; die erforderlichen Adaptierungen des Lokals seien im Zuge der Haussanierung durchaus möglich und sinnvoll. Ich entschied für diese Option und reichte den Plan für eine behördliche Genehmigung ein.

Am 20. August 1987 kam vom Magistrat der Bescheid für die Betriebsanlage einer Bar, auch ein Gastgarten im Innenhof wurde genehmigt. Aber die Auflagen des Magistrats waren weiterhin noch nicht erfüllt. Also musste ich auf die Haussanierung warten.

Planen kann man Tag und Nacht,
doch kommt‘s oft anders als gedacht.

Anfang Februar 1988 starb Leinwather unerwartet. Da er planender Baumeister für die Sanierung des Hauses gewesen war, schien die weitere Zukunft meines Vorhabens ungewisser denn je. „Schluss mit dem Barprojekt, vergiss‘ es, Stefan, arbeite als Journalist weiter“, sagte ich mir.

Aber dann löste der Zufall eine unvorhergesehene Wende aus: Es gelang, den Mehrheitsanteil des Hauses Schlossgasse 21 zu kaufen (wie es dazu kam, steht im Kapitel „Bauherr“).

Damit rückte die Cocktailbar in den Hintergrund. Unversehens war ich für die  Sanierung eines Zinshauses mit zwei Dutzend vermieteten Wohnungen verantwortlich. Wer hätte das gedacht?

Anstelle einer Cocktailbar
entsteht ein neuer Beislstar.

Gemäß Wiener Sperrstundenverordnung hätte ich mit einer Bargenehmigung bis 4 Uhr früh offenhalten dürfen. Das schien für eine Cocktailbar wichtig. Andererseits hatte sich die fürs Lokal verfügbare Nutzfläche inzwischen fast verdreifacht: So waren die nebenan geplanten Garagen vom Magistrat unter Hinweis auf den „Ensembleschutz“ verweigert worden. Diese Flächen wurden verfügbar. Auch der Gastgarten war hinzu gekommen.

Ob das alles nicht schon zu groß für eine Cocktailbar sein würde? Ich dachte an die „Loos-Bar“ im ersten Bezirk von Wien, deren außergewöhnlicher Charme in der Gestaltung eines winzigen Raumes liegt.

Ich entschloss mich – ganz gegen die ursprüngliche Planung – für die Errichtung einer Küche. Denn im Gastgarten würden die Gäste in der warmen Jahreszeit sicher gerne essen.

Allerdings befand sich nebenan das alt eingesessene Gasthaus „Silberwirt“ als Mitbewerber. Ob ein weiteres Speiselokal Chancen auf Erfolg haben würde? Das Umfeld galt in den späten 1980-er Jahren als heruntergekommen.

„Dem Gergely gib i für sei Lokal ned mehr als a hoalbes Jahr“, soll der damalige Pächter des Silberwirt hinter meinem Rücken gesagt haben.

Ich riskierte es dennoch. Gestaltung und Einrichtung plante Architekt Klaus Becker, ein guter Bekannter meiner Mutter. Er sollte bis zu seinem Ableben für meine baulichen Projekte verantwortlich sein.

Becker hatte zuvor das damals renommierte Bierlokal „Fischer-Bräu“, das „Krah Krah“ im Bermudadreieck und andere erfolgreiche Beiseln geplant. Ihm verdanke ich wertvolle Erkenntnisse im Umgang mit alter Bausubstanz und wichtige Regeln zur Gestaltung von Wiener Wirtshäusern.

Ohne ein halbwegs attraktives Angebot an Speisen wollte ich nicht starten. Daher verlagerte sich die Planung von den Cocktails zu kalten und warmen Speisen; es sollten auch Spezialitäten dabei sein, die es anderswo nicht gibt, war meine Überlegung.

Beispielsweise wurde ein Rezept für indonesisch marinierte Saté-Spieße entwickelt, gemeinsam mit meinem Freund Roland Mader. Wesentlicher Bestandteil des Gerichts ist eine cremig-würzige Sauce aus geriebenen Erdnüssen.  Das folgende Foto aus dem Jahr 1989 zeigt eine improvisierte Anordnung mit Rührmaschine für die Erdnusssauce, die in meinem Redaktionsbüro in der Gartengasse am Boden stand (siehe Beitrag „Autor“).

1990 bis 1997: Die „wilden Jahre“

Wenig später entschied ich, das Lokal als „gehobenes“ Studentenbeisel zu gestalten; ich hatte zahlreiche gut gehende Lokale im Bermuda-Dreieck und am Spittelberg besucht und kam zur Überzeugung, dass so ein Lokaltyp im Viertel um den Margaretenplatz erfolgreich sein könnte; er würde sich vom Nachbarn, dem alteingesessenen Silberwirt, durch jugendliches Flair unterscheiden.

Mit gepflegtem Bier vom Fass, einfacher Beiselküche und fernöstlichen Schmankerln wollte ich starten. Cocktails passten nicht mehr dazu. Die könne man später noch ergänzen, dachte ich.

Der Umbau des Lokals lief ohne gravierende Probleme ab. Er dauerte erheblich länger als geplant: Erst am 21. Mai 1990 fand die Eröffnung statt. Als Schildbezeichnung wählte ich „Schlossgasse 21“.

1990: Das erste Lokal, die Schlossgasse 21.

Wenig später war die Schlossgasse 21 jeden Abend sehr gut besucht. Bald waren die West-Wiener Handballer Stammgäste, ORF-Moderator Christian Ludwig hatte viele Jahre lang seinen zweiten Wohnsitz hier. Auf folgendem Bild ist er mit Rainer Pariasek und Adi Niederkorn vom ORF zu sehen:

 

Roland Mader wohnte damals zwei Stockwerke oberhalb vom Lokal und war mit Freunden und Bekannten oft zu Gast. Das so genannte Chorgestühl war ein beliebter Platz zum Trinken und Reden. Es war  der kirchlichen Einrichtung nachempfunden, aber nicht deshalb, weil es im Lokal weihevoll zugehen sollte, sondern weil die Gäste im Chorgestühl erhöht sitzen und sich mit anderen, die auf einem Barhocker  Platz genommen hatten, „auf Augenhöhe“ unterhalten konnten.

Roland Mader mit Freunden im „Chorgestühl“ der Schlossgasse 21.

Thomas und Stefan Gergely.

Für Lokalerfolge zählt das Team,
das gilt in London, Rom und Wien.

Mitarbeiter in gastronomischen Betrieben spielten und spielen bekanntlich eine wichtige Rolle. Im Service musste ich erfreulicherweise nicht lange suchen. Von meinen Aufenthalten im Waldviertel kannte ich engagierte junge Zwettler, die Freunde meines damaligen Mitarbeiters Alois Göschl waren.

Göschls jüngerer Bruder Thomas würde im Service tätig sein, für die Bar interessierte sich der Konditor Karl Fröschl und der gelernte Tischler Herbert Helmreich war überall fleißig, wo er gebraucht wurde.

Diese drei Waldviertler prägten den Start ebenso maßgeblich mit wie drei flinke junge Mitarbeiterinnen, die auf folgendem Bild zu sehen sind, von links nach rechts Sabine, Eva und Barbara.

Über Vermittlung von Roland Mader kam außerdem Rudolf Kirschenhofer ins Blickfeld, der damals noch im Hotel Hilton bei Haubenkoch Werner Matt beschäftigt und außerdem im elterlichen Betrieb in Hadersdorf verankert war. Er wurde wenig später für die Küche der Schlossgasse 21 verantwortlich (und ist es noch bis heute – als einer meiner Nachfolger).

Kirschenhofer und das junge Service-Team waren für den Start eminent wichtig. Denn kurz nach der Eröffnung war das Lokal, wie erwähnt, nahezu täglich voll, die Stimmung war ausgelassen. Ich weiß bis heute nicht, wie das so schnell so gut gelungen ist.

 

Der Name „Schlossgasse 21“ kam für das Lokal gut an. Kaum jemand hatte die Gegend vorher gekannt, und so war naheliegend, die Adresse des Hauses zur Schildbezeichnung zu machen.

Das war die erste Speisen- und Getränkekarte in der Schlossgasse 21:

Die Saté-Spieße sollten in den ersten Jahren unter den Top 3 der meistverkauften Speisen landen. Ein Renner waren auch die überbackenen Schwarzbrote.

Das renommierte deutsche Gourmetmagazin „Feinschmecker“ setzte die Schlossgasse 21 mit folgendem Foto auf die Titelseite einer Ausgabe dieser Zeitschrift (das dominant emporragende Rohr dient noch heute für Lüftungszwecke).

Im Dezember 1990 veröffentlichte ich die erste Ausgabe einer eigenen Grätzel-Zeitung mit dem Titel „Schloßviertler“ (das scharfe „ß“ entsprach der damals üblichen Schreibweise). Die Marke „Schlossquadrat“ sollte erst später geboren werden, aber mit der Idee des Schloßviertlers war im Keim schon angelegt, was damals noch nicht sichtbar war: Die Neubelebung der Gebäude, die auf das alte Schloss Margareten zurückgehen, mit zahlreichen sanierten Wohnungen und mit vier gastronomischen Lokalen, alles unter einem organisatorischen „Dach“.

Im ersten Leitartikel erklärte ich meine Vision:

Die Grätzel-Zeitung sollte andere Unternehmer und private Initiativen von der Lebensqualität dieses Stücks Margareten überzeugen. Aber es kam niemand auf mich zu, der sich meiner Idee tätig anschließen wollte. Also musste ich das Ziel in Eigenregie weiter verfolgen.

Erst zehn Jahre später, als das Grätzel längst bekannt und beliebt war, setzte sich die Aufbauarbeit mit neu gegründeten Einkaufsstraßenvereinen und zahlreichen Mitgliedern aus dem nahen Umfeld fort (siehe das Kapitel „Vereinsmeier“).

Sehr lebhaft war die erste Zeit
mit Party, Schnaps und Heiterkeit.

Laute und meist auch alkoholreiche Feste gab es in den ersten Jahren der Schlossgasse 21 regelmäßig – im Rückblick nenne ich sie die „sieben wilden Jahre“. So fand jedes Jahr im Fasching ein Fest zu einem ausgewählten Thema statt – vom Clochard-Clubbing bis zum Gogo-Contest, wie die nachstehende Kompilation von Fotos und Zeitungsausschnitten belegt.

Ob es dem Lokal nützte oder schadete, dass ich als Journalist bekannt war und auch während der ersten Jahre der Schlossgasse 21 im Nachrichtenmagazin profil weiter arbeitete, weiß ich bis heute nicht.

Immerhin fanden die traditionellen Sommergespräche des ORF mehrmals im Hof der Schlossgasse 21 statt. Der Wiener VP-Politiker Erhard Busek dürfte der erste gewesen sein, der dem ORF die Location vorgeschlagen hatte.

Viele Events hätte es wohl auch dann gegeben, wenn ich kein Journalist gewesen wäre. So traf sich die Redaktion der „Arbeiterzeitung“ zum letzten Mal vor ihrer Einstellung am 31. Oktober 1991 in der Schlossgasse 21, aber nicht wegen mir, sondern weil sich ihr Firmensitz ganz in der Nähe befand.

Seit der Eröffnung des Lokals waren Wiener SP-Politiker und Freunde wie Harry Kopietz, Renate Brauner, Grete und Helmut Laska treue Stammgäste.

Von der ÖVP war mein Freund Günter Stummvoll oft zu Gast, der frühere Präsident der Wirtschaftskammer Leopold Maderthaner lud Journalisten regelmäßig zu Hintergrundgesprächen.

Das nachstehende Foto zeigt den damaligen Bürgermeister Helmut Zilk mit Harry Kopietz, Krone-Journalistin Karin Schnegdar und TV-Moderator Dominic Heinzl bei einem Event in der Schlossgasse 21.

In Wien sind Wirtshäuser bekanntlich „Leo“, politische Parteinahme und Wahlkundgebungen gelten hier als tabu. Als beispielsweise eine Anfrage kam, ob es für den damaligen FP-Obmann Jörg Haider einen Tisch im Gastgarten der Schlossgasse gebe, sagte ich „ja, aber eine Ansprache an die Gäste ist nicht erwünscht“.

Ländliche Tradition wird auch in der Stadt lebendig

Jedes Jahr wurden am 21. Mai ab 21 Uhr 21 Liter Frühlingsbowle frei ausgeschenkt. Im September fand als Erntedank außerdem das mittlerweile legendäre Sturmfest statt, bei dem 500 Liter Sturm des Stammersdorfer Winzers Fritz Wieninger aus einem Holzfass frei ausgeschenkt werden. Bei einigen Festen war das Fass bereits nach zwei Stunden leer . . .

Auf dem folgenden Foto aus dem Jahr 1996 sind Fritz Wieninger mit Vizebürgermeisterin Grete Laska und dem Wirt zu sehen, wie gerade das Sturmfest angeschlagen wird:

 

Zum Sturmfest kamen und kommen viele meist jugendliche Fans, die zu anderen Zeiten des Jahres nicht als zahlende Gäste erschienen. Aber sie sorgten für eine Art von „Buschtrommel“. Die ist auch in Zeiten von Social Media ein gutes Werbemittel geblieben.

Da jedes Jahr ein anderer Prominenter das Sturmfass anschlug, erschienen nette Fotos in Zeitungen und Berichte im Fernsehen, was für die Bekanntheit des Grätzels kein Nachteil war, siehe die folgende Collage:

Mit dem Sturmfest wollte ich die Tradition ländlicher Erntedankfeste in die Stadt tragen. Auch der Vorplatz der Schlossgasse 21 mit seinem alten Steinbrunnen wurde wie ein runder Dorfplatz gepflastert. Das folgende Foto aus dem Jahr 1992 zeigt, wie der Hof damals aussah:

Die Rückbesinnung auf die Geschichte von Alt-Margareten war mir ebenfalls wichtig. So wurde ein neuer Maulbeerbaum gepflanzt, unter tätiger Mithilfe von Dr. Helmut Zilk, damals Bürgermeister der Stadt Wien. Er war auch später nicht selten zu Gast.

Mehr Grün in den Innenhöfen

Die alten Kastanien- und Lindenbäume sorgten ebenfalls für viel Grün mitten in der Stadt. Ich ließ nach und nach weitere Bäume sowie viel Efeu und Veitschi auspflanzen, darum sind die Innenhöfe heute, in den 2020-er Jahren, so dicht begrünt.

Guter Wein und gute Steaks

Neue Gastro-Trends rückten qualitativ hochwertigen Wein und Schnaps ins  Blickfeld. Es gab damals den „Club de la Sommellerie“, in dem Heinz Reitbauer (Steirereck), Rudolf Kellner (Altwienerhof im 15. Wiener Bezirk), Frank Bläuel (Tulbingerkogel) und Klaus Wagner (Landhaus Bacher in Mautern bei Krems) vertreten waren. Ich engagierte mich und wurde wenig später zum Obmann des Vereins gewählt (siehe den Bericht „Vereinsmeier“).

Durch diese Kontakte lernte ich hochwertige Weine unterschiedlicher Rebsorten kennen und schätzen. Auch Sommelier Hermann Mahringer half mir dabei. So war 1992 ein gutes Weinjahr in Österreich, jedenfalls besser als 1991, und das war für mich der willkommene Anlass, um das Angebot renommierter Weine von heimischen Rieden auszubauen.

In diesem Jahr kaufte ich einen Weinkeller im niederösterreichischen Kamptal zur Lagerung der Weine, weil in der Schlossgasse damals kein geeigneter kühler Platz dafür vorhanden war.

Beim Keller waren auch Weinrieden dabei. Der Winzer Sepp Hirsch aus dem benachbarten Hadersdorf pachtete sie. Er  pflanzte Rebstöcke der Sorte Chardonnay aus, der Wein war über viele Jahr hinweg als Eigenmarke erfolgreich:

Mitarbeiter aus Service und Küche waren beim Weinlesen anfangs mit dabei – ein willkommener Anlass, um im Anschluss daran zünftig zu feiern. Nachstehendes Foto zeigt Jürgen Geyer, der später mit Rudolf Kirschenhofer Teilhaber der Lokale werden sollte, bei einer Lese Anfang der 2000-er Jahre:

Seit 2022 wird dieser Weingarten von Simon Kemetner aus dem nahe gelegenen Etsdorf gepflegt. Anstelle eines Weines vom Chardonnay keltert er Bio-Frizzante.

1992: Die erste Edelbrand-Bar

Im Jahr 1992 eröffnete ich eine ruhige Alternative zur oft lärmintensiven Schlossgasse 21: Das Hofstöckl. Früher war hier die Wohnung des Hausmeisters gewesen. Für ein Lager schienen die kleinen, ebenerdig gelegenen Räume zu schade. Ich entfernte die Decke, erneuerte den Dachstuhl und ließ ihn nach oben hin offen, was dem Raum ein eigenes Gepräge verleiht:

Das kleine Hofstöckl wäre als Cocktailbar gut geeignet gewesen, die ich im Jahr 1985 geplant hatte (siehe den Beginn dieser Story). Aber inzwischen war eine neue Idee entstanden: Die Vermarktung von Edelbränden.

Der Ex-Skirennläufer Wolfram Ortner hatte in Bad Kleinkirchheim die Schnapsmesse „Destillata“ gegründet. Ich besuchte sie im Jahr 1991 und war von der Vielfalt der hochgeistigen Aromen ebenso begeistert wie die Journalistin Karin Schnegdar, die ebenfalls anwesend war. Seit damals habe ich, oft mit ihr, über mehr als zwanzig Jahre Jahre hinweg unzählige Edelbrände für verschiedene Gourmet-Magazine und die Destillata verkostet und bewertet.

Aus der Hausmeisterwohnung wurde so die erste Edelbrand-Bar der Stadt. Das Konzept kam in den ersten Jahren sehr gut an. Ab 1997 wurde die zulässige Alkoholgrenze für Autofahrer von 0,8 auf 0,5 Promille gesenkt – die Umsätze mit „harten Getränken“ gingen in der Folge bundesweit zurück. Für mich war das wirtschaftlich kein Malheur, denn inzwischen hatte sich das Hofstöckl für kleine, aber feine Events etabliert.

Zu Beginn setzten Küchenchef Rudolf Kirschenhofer und ich auf Steaks von verschiedenen Rinderrassen, aus Österreich und Übersee. Mit dieser Aufbauarbeit erwarben sich die Schlossgasse 21 und das Hofstöckl einen ausgezeichneten Ruf für gegrillte Spezialitäten vom Rind.

Später gab es festliches Essen mit indonesischer Reistafel, die aus zwei Dutzend verschiedenen Gerichten besteht und in Amsterdam Kultstatus hatte. Auch diese Idee kam eine Zeit lang sehr gut an, zumal es in Wien kein einziges indonesisches Lokal gab.

Berichte Hofstöckl

Die Stimmung in der Schlossgasse 21 war heiter, wie das folgende Bild von Bürgermeister Helmut Zilk mit seinem traditionellen weißen G‘spritzten, meinen Vater und mich mit Margaretner Bier zeigt:

Gerhard Gergely, Helmut Zilk und Stefan Gergely mit Margaretner Bier im Hof der Schlossgasse 21.

1997: Kampf um die Sperrstunde im Gastgarten

Im Frühsommer des Jahres 1997 stand im österreichischen Nationalrat eine Novelle zur Gewerbeordnung auf der Tagesordnung. Eine Woche vor dem Termin zur Abstimmung sickerte ein Vorhaben durch, das mich in Alarmbereitschaft versetzte:

Die Sperrstunde in Gast- und Schanigärten solle durch eine Gesetzesnovelle auf 20 Uhr vorverlegt werden, wurde kolportiert.

Ich war fassungslos, nicht nur, weil ich im Gastgarten gute Umsätze erzielte, sondern weil ich eine Sperrstunde im Freien und im Sommer vor Sonnenuntergang für vollkommen unverhältnismäßig hielt. Meine Stimmung schlug von heiter auf zornig um.

Die Chronik meiner öffentlichen Aktionen gegen die frühe Sperrstunde ist im Bericht „Aufmüpfiger“ zu lesen.

Hier nur das Ergebnis: Ich schaffte im aller letzten Moment den Meinungsumschwung – eine Liberalisierung der Gewerbeordnung. Das folgende Bild zeigt den damaligen Bundeskanzler Viktor Klima und die Mitarbeiterin Martina im Gastgarten der Schlossgasse 21:

Zeitungsberichte über den erfolgreichen Kampf gegen eine Sperrstunde im Gastgarten um 20 Uhr.

Michael Jeannée von der „Kronenzeitung“, für seine markanten Formulierungen berüchtigt, nannte mich fortan den „Sperrstunden-Töter“. Zahlreiche Massenmedien berichteten in großer Aufmachung. Ich freute mich über den Erfolg.

Es lenkt den Lebensplan, oft unerwartet,
ein neuer Start, der gut geartet.

Im Jahr 1990 hätte ich es nicht im Traum für möglich gehalten, jemals den Silberwirt zu übernehmen und schon gar nicht unter den Umständen, die später dazu führen sollten.

An diesem Standort ist schon im Jahr 1786 eine „Weinschankgerechtigkeit“ erwähnt, später wurde hier ohne Unterbrechung und unter verschiedenen Schildbezeichnungen ein Gasthaus betrieben.
Im Umfeld vom Schloss Margareten gediehen Weingärten. Heute kaum zu glauben.
Als Margareten noch ein Heurigenort war
Das folgende Bild ist um 1900 entstanden und zeigt eine „Josef Kasper Gastwirtschaft“; über dem Eingangstor war ein Schild mit der Aufschrift „GARTEN – KEGELBAHN“ angebracht.  Ein anderer Betreiber hatte das Lokal „Gasthaus zum silbernen Kegel“ genannt (vermutlich deshalb, weil es im Innenhof eine Kegelbahn gab).
Während und nach dem Zweiten Weltkrieg soll es im Haus, so wurde mir von einem älteren Anrainer berichtet, zwielichtige Umtriebe mit käuflichen Frauen gegeben haben, aber belegt ist das nicht, es kann auch ein haltloses Gerücht gewesen sein.
Gesichert ist, dass eine Gastwirtin namens Maria Silber im Jahr 1952 das Lokal in Hauptmiete übernahm und bis zum Jahr 1974 führte. Der Name Silberwirt ist geblieben. Ein Kellner, der in den 1960-er Jahren dort gearbeitet hatte, erzählte mir viel von den vergangenen Zeiten und wie es damals zugegangen war. Kaum zu glauben: weiß gedeckte Tische im Vorstadt-Wirtshaus, der Kellner mit weißem Sakko und schwarzem Mascherl:
Auch fröhliche Feste dürften im Silberwirt gefeiert worden sein:
Am 1. Februar 1974 übertrug Maria Silber die Mietrechte an ihren Sohn Franz. Ich kann aus eigener Anschauung nur wenig aus dieser Zeit berichten, obwohl ich damals in der nahe gelegenen Siebenbrunnengasse wohnte.
Meist besuchte ich andere Lokale (von denen es heute nicht mehr viele gibt): Beispielsweise das Wirtshaus „Storchennest“, die „Bunte Kuh“ und das „Nashville“ in der Siebenbrunnengasse. Meinen Vater traf ich nachmittags nicht selten im „Irish Café“ in der Pilgramgasse, für ein gutes Essen kehrten wir im „Schwarzen Adler“, in der „Goldenen Glocke“ in der Schönbrunnerstraße oder beim „Goldenen Hecht“ in der Waaggasse ein.
Von den genannten sieben Lokalen sind vier inzwischen geschlossen und drei werden mit anderen Konzepten und Schildbezeichnungen weiter geführt – ein bemerkenswerter Beleg für den Wandel in der gastronomischen Landschaft von 1980 bis in die 2020er Jahre.
Den Unterlagen meines Archivs ist zu entnehmen, dass Franz Silber die Miete für das Lokal oft schuldig blieb und von der damaligen Hauseigentümerin Elfriede Suranyi auf Zahlung der Rückstände geklagt wurde. In einer handschriftlichen Notiz ihres Nachfolgers Dieter Leinwather vom 3. August 1985 wird ein Pachtvertrag erwähnt (Anm: gemeint war die Verpachtung an einen Herrn Herbert Osanger); dort stand: „Osanger zahlte an Silber 240.000,- (Schilling) da dieser Mietschulden von über 100.000,-  und sonstige Steuerschulden hatte“. So wurde Osanger offenbar zum Pächter des Lokals und Franz Silber war seine Schulden los. Er war offenbar auch danach dem Alkohol verfallen und versoff Zug um Zug die Aufbauarbeit seiner Mutter. Dazu die Vorgeschichte:
Silberwirt Verpachtung Vorgeschichte
Lokal und Gastgarten verströmten damals das Flair eines Altwiener Beisels. Teile der Holzvertäfelung waren angemorscht, aber das war den Gästen offenbar egal, es wurde improvisiert anstatt saniert. Der morbide Charme dieser „Inszenierung“ zog gleichwohl viele Gäste an, viele davon zählten zur 1968-er Bewegung.
Pächter Herbert Osanger nannte die Klientel seines Lokals mir gegenüber „alternativer Abschaum“. Oder war das nur im Scherz gemeint? Osanger war in der Doppeldeutigkeit beim „Wiener Schmähführen“ durchaus bewandert und konnte außerdem gut kochen – im Schlechtmachen von Anderen war er besser.
Seine Lebensgefährtin, die Frau Toni, und er hatten eine notorische Schwäche für Pferdewetten. Vom Stoßspiel hat mir Osanger auch berichtet. Darum war in seinem Wirtshaus auch manch Halbwelt zugange.

Wer Streit mit andern sucht,
der sollte gute Waffen haben.

Schier unglaubliche Vorgänge waren es, die mich letztlich zur Übernahme des Silberwirts veranlassten. Zu Beginn war das Lokal ein Mitbewerber der Schlossgasse 21 gewesen, es wurde faire Nachbarschaft gelebt und ich hatte damals auch gar nicht vor, neben der Schlossgasse 21 ein weiteres gastronomisches Lokal zu betreiben.
Eines Tages erzählte mir Herbert Osanger jedoch, dass er den Silberwirt „gekauft“ habe. Als Hauseigentümer machte mich das stutzig. Dazu muss man wissen, dass der Pächter eines Lokals – wie Osanger es damals war – den Pachtzins normalerweise an den Mieter entrichtet, im konkreten Fall an Franz Silber, und der wiederum zahlt aus diesem Erlös den vertraglich vereinbarten Mietzins an den Hauseigentümer.
Bevor der Mieter eines Lokals seine Rechte einem anderen abtritt, verlangt er in aller Regel eine Zahlung für den Wert des Unternehmens, was im allgemeinen Sprachgebrauch „das Lokal kaufen“ genannt wird. Damit rückt der Pächter in die Rolle des Mieters auf, er wird aber nicht grundbücherlicher Eigentümer des Bestandobjektes.
Mit der Mitteilung von Osanger über einen „Kauf des Lokals“ hatte ich nicht gerechnet. Franz Silber war inzwischen verstorben und seine Frau Monika war in dessen Rechte eingetreten. Hätte Osanger das Lokal tatsächlich als Mieter übernommen, dann hätte ich als Hauseigentümer den damals sehr niedrigen Zins auf ein marktübliches Niveau anheben dürfen. Osanger wäre gegen eine Zinserhöhung vermutlich vor Gericht gezogen, die Auseinandersetzung hätte zu Streit geführt und die Stimmung im Haus vergiftet.
So weit kam es jedoch nicht. Monika Silber sagte mir, dass der Bericht vom Kauf des Lokals erfunden sei und kündigte einen gerichtlichen Streit an (was ich an ihrer Stelle auch getan hätte). Wie aber kam Osanger dazu, einen solchen Kauf zu behaupten?
Es stellte sich heraus, dass Franz Silber auch nach der Verpachtung an Osanger immer wieder im Silber eingekehrt war. Zu vorgerückter Stunde kam es dann und wann vor, dass er sich von Osanger größere Summen an Bargeld ausborgte. Osanger ließ sich jedes Mal eine Bestätigung unterschreiben und notierte „Anzahlung für Kaufpreis“ auf den Zettel.
Das lief über geraume Zeit, bis eine stattliche – mir nicht bekannte Summe – zustande gekommen war. Osanger meinte, allein durch seine vielen Anzahlungen das Lokal gekauft zu haben. Er hatte übersehen, dass sein Pachtvertrag weder eine Option auf einen späteren Kaufvertrag enthielt noch eine konkrete Kaufsumme, es gab auch sonst kein Schriftstück, das annähernd als Kaufvertrag zu werten war. Sein Anwalt hätte das wissen müssen.
Ich sagte Osanger mehrfach, dass er keine Chance habe, einen Prozess gegen Frau Silber zu gewinnen. Aber er schlug meine Argumente in den Wind und sagte, er habe einen ausgezeichneten Juristen, den Dr. Sigi S., der ihm versichert habe, dass er die gerichtliche Auseinandersetzung „tausendprozentig“ für ihn gewinnen werde.
Wenig später fragte ich Frau Monika Silber, was sie zu tun gedenke, wenn Osanger den Prozess verliert: Sie wolle das Lokal dann einem anderen Pächter geben, sagte sie, und nannte eine Person, die mir bekannt, aber nicht geheuer war. „Wenn sie den nehmen, Frau Silber, dann mache ich Ihnen alle Schwierigkeiten, die mir zur Verfügung stehen, den Typ akzeptiere ich als Betreiber vom Silberwirt nicht“, sagte ich als Hauseigentümer.
Es folgte ein mühsames Hin und Her. Am Ende schloss ich mit Frau Silber einen Vertrag, wonach ich gegen eine angemessene Ablösezahlung die Mietrechte am Silberwirt übernehmen würde, sobald der alte Pachtvertrag mit Osanger aufgelöst war. Frau Silber wurde von Rechtsanwalt Herbert Schrittesser vertreten, der mich später in anderen Angelegenheiten beraten sollte.
Wie vorauszusehen war, verlor Osanger den Prozess und musste am Ende einen umfassenden Vergleich abschließen, der ihn zur Räumung des Lokals verpflichtete. Wenig später erschoss sich sein Anwalt; es liegt mir kein Beleg vor, dass diese schreckliche Tat mit dem verlorenen Prozess zu tun hatte.
Hätte Osanger den Kauf des Lokals erst gar nicht behauptet, so wäre er vermutlich noch jahrelang Pächter vom Silberwirt geblieben. So war er selbst schuld an seinem Schlamassel, räumte das Lokal am 31. Dezember 1997 und übergab mir die Schlüssel.
Silberwirt Räumungsvergleich

Parallel dazu verhandelte ich über ein zweites Projekt, das mir – im Gegensatz zum Silberwirt – aktiv angetragen worden war. Es ging um die angrenzende Liegenschaft Margaretenstraße 77 mitsamt dem dort befindlichen griechisch-italienischen Lokal Octopusi.

Ich war nicht selten zu Gast dort und unterhielt mich mit der Wirtin und Hauseigentümerin Britta Strenn. Der Innenhof des Octopusi samt Gastgarten (heute ist es das Café Cuadro) sah früher so aus:

Ungefähr zur selben Zeit, als der Konflikt zwischen Frau Silber und Herrn Osanger über den Kauf des Silberwirt eskalierte, fragte mich Frau Strenn, ob ich ihr das Haus und das Lokal abkaufen wolle. Auch das war damals nicht meine Intention. Der Standort direkt am Margaretenplatz erschien zwar besser als die Schlossgasse 21 und der Silberwirt, die beide in einer wenig frequentierten Seitengasse liegen.

Aber ich hatte an dieser theoretisch guten Lage seit den 1960-er Jahren ein reges Kommen und Gehen beobachtet: So hatte die US-Kette Kentucky Fried Chicken ihren ersten Standort in Wien eröffnet, gab den Versuch jedoch wenig später auf. Auch andere Konzepte versagten. Der Gastgarten im Innenhof war zwar gemütlich, aber die Gasträume und Küche waren ungünstig angeordnet. Daher fand sich offenbar niemand, der kaufen wollte (oder Strenn hatte einen zu hohen Preis verlangt).

Für mich war klar, dass nur ein totaler und entsprechend teurer Umbau des Lokals eine Chance auf langfristigen Erfolg bieten würde. Andererseits reizte mich die Gelegenheit, die Liegenschaft als zweites Teilstück vom alten Schloss Margareten zu erwerben.

1997: Wende zur „Wiedervereinigung“

Im Rückblick sehe ich das Jahr 1997 als die Geburtsstunde des späteren Schlossquadrat (zur Entstehung des Namens siehe weiter unten): Was im späten 18. Jahrhundert durch Erbfolge über die Generationen hinweg aufgeteilt worden war, wollte ich zum erheblichen Teil wieder unter ein gemeinsames Dach bringen und für die Zukunft erhalten. Weitere Aspekte zu dieser „Wiedervereinigung“ sind im Kapitel „Bauherr“ nachzulesen.

Gegen die konkrete Chance, dieses Ziel zu erreichen, verblasste das Risiko, ob am Standort Margaretenstraße 77 ein erfolgreiches Lokal entstehen werde. Auch die anfangs wenig geliebte Idee, den Silberwirt zu übernehmen, erschien damit in einem anderen Licht.

So entschloss ich mich im Jahr 1997, beide Objekte zu erwerben.

Während ich mit Britta Strenn über den Kaufpreis feilschte, wurde parallel dazu ein Vertrag zur Übernahme der Mietrechte am Silberwirt ausgehandelt. Fast niemand war über die Zusammenhänge informiert. Es gelang mir sogar, die zeitliche Abfolge der Verhandlungen genau zu steuern.

Die Fliegen schwirren oft am Tag,
doch selten trifft man zwei pro Schlag.

Am 10. März 1997 sicherte ich mir die vertraglichen Rechte am Silberwirt.
Am 11. März 1997 wurde der Kauf der Liegenschaft Margaretenstraße 77 samt Octopusi unterschrieben.

Das waren somit zwei Fliegen so gut wie auf einen Schlag.

Aber es kam noch eine dritte und sehr große Fliege hinzu. Im Vergleich war sie fast so groß wie eine Hummel: Das Haus Margaretenplatz 2. Es ist nicht nur das mächtigste Gebäude im ganzen Schlossquadrat, sondern brachte auch eine weitere Anbindung an den Margaretenplatz.
Auf dem folgenden Kupferstich aus dem Jahr 1774 habe ich in gelb eine Linie eingezeichnet, welche die Trennung der heutigen Parzellen Schlossgasse 21 (links) und Margaretenplatz 2 (rechts) zeigt. Baulich waren und sind sie jedoch eine Einheit.

Zwei Mitbesitzer der Liegenschaft Margaretenplatz 2 hatten bereits im Jahr 1992 ihre 50/100 Anteile des Hauses an meinen Vater verkauft. Es folgten langwierige Verhandlungen mit drei anderen Personen, denen die zweite Haushälfte gehörte. Sie verliefen über fünf Jahre hinweg mühsam und letztlich ergebnislos. Ich war frustriert und sah kaum mehr Chance auf eine gütliche Einigung (siehe Kapitel „Bauherr“).
Mit der Übernahme des Lokals Silberwirt und der Liegenschaft Margaretenstraße 77 änderte sich jedoch meine Strategie aus folgenden Gründen: Erstens stand die Schaffung eines Verbindungswegs zwischen den Innenhöfen der Schlossgasse 21 und der Margaretenstraße 77  in Aussicht.
Zweitens würde eine Erweiterung der Schlossgasse 21 zum Margaretenplatz 2 das Häusergeviert auf drei Seiten umfassen – diese Idee faszinierte mich. Doch bevor ich weiter darüber berichte, muss ich noch einmal zum Silberwirt zurück kehren.

1998 Silberwirt

Die Übernahme des Silberwirt Anfang 1998 war ursprünglich als „sanfte Sanierung“ vorgesehen. Es wurde die alte Lamperie vorsichtig abgelöst, um sie später wieder montieren zu können. Daraus wurde jedoch nichts, denn es traten gravierende bauliche Mängel zum Vorschein, die bei der Totalsanierung des Hauses in den Jahren 1988 bis 1990 niemandem aufgefallen waren: So war ein vier Meter breites Teilstück der statisch tragenden Mittelmauer des Hauses einfach abgerissen worden.

Von wem und wann das gemacht wurde, blieb unklar. Der Statiker sprach von Glück, dass das Haus noch nicht eingestürzt sei. „Alte Häuser bleiben aus Gewohnheit stehen“, kommentierte Architekt Klaus Becker den heiklen Vorfall.

Zur Sicherung des statischen Mangels mussten massive Stahlträger eingebaut werden. Damit war ein behutsamer Umbau des Silberwirt vom Tisch. In der Folge wurden ein neuer Boden verlegt, eine neue Küche errichtet, das Lokal bekam größere Toiletten und erstmals eine Lüftungsanlage. Nach knapp fünf Monaten Bauzeit eröffnete der neue Silberwirt am 21. Mai 1988 – am selben Datum, an dem ich acht Jahre zuvor die Schlossgasse 21 aufgesperrt hatte.

Das Wiener Beisel Silberwirt mit Gastgarten im Innenhof nach erfolgter Sanierung im Jahr 1998.

Dass das Angebot an Speisen und Getränken der Wiener Tradition verhaftet bleiben würde, stand nie zur Diskussion, obwohl seit  Jahren das „Sterben der Wirtshäuser“ öffentlich beklagt wurde. Wien war offener und internationaler geworden, auch ein Boom bei Fernreisen beförderte den Erfolg zahlreicher neuer Ethno-Lokale.

Ich wollte über die Änderungen am Markt aber Genaueres wissen, sprach bei der Wiener Wirtschaftskammer vor und erhielt den Auftrag zu einer Studie über die Lage der Gastronomie in den Wiener Bezirken 1 bis 9. Mit einem Team von zwei Dutzend Studentinnen und Studenten wurden alle (!) gastronomische Lokale besucht, nach Kategorien typisiert, Sitz- und Stehplätze wurden gezählt usw. In Summe war es eine aufwendige Vollerhebung, die unter dem Titel „Gastro 2000“ auf mehr als hundert Seiten veröffentlicht wurde. Sie beinhaltet ferner Berichte über eine ausführliche Marktforschung bei Wiener Gastro-Betreibern sowie eine repräsentative Umfrage bei der Wiener Bevölkerung.
Gastro 2000 Endbericht
Die Studie hatte aber noch einen weiteren Hintergrund: Aus dieser Bestandsaufnahme sollte ein Konzept zur Förderung Wiener Wirtshäuser entstehen. Der neue Silberwirt sollte als Pionier fungieren und zeigen, wie man der ehrwürdigen Tradition Wiener Küche frisches Leben einhauchen könne – entgegen dem damaligen Trend.

Start für eine Renaissance Wiener Tradition.

Die konkrete Umsetzung begann ich mit der Erzählung über einen fahren Gesellen aus Südmähren, und einem Logo, das seine Gesichtszüge abbildete.

Dazu schrieb ich damals:

„Das Silberwirt Logo zeigt die Umrisse eines fahrenden Gesellen, der aus Südmähren stammt und sich im Jahre 1786 – dem Datum der ersten dokumentierten Erwähnung eines Lokals auf diesem Standort – niederließ. Die jugendlichen Züge des Gesellen gehen konform mit der im architektonischen Konzept realisierten Neudefinition des „Wiener Beisel“, welche den Boden für eine – noch in der Zukunft liegende – Renaissance dieser Institution aufbereiten soll: Junge Menschen sollen angeregt werden, das Beisel neu zu entdecken. Die Realisierung des Retro-Konzepts setzt freilich noch behutsame Änderungen im gastronomischen Konzept voraus, die für die nächsten Jahren in mehreren Etappen geplant sind.“

Ebenfalls aus Südmähren kam das Fassbier, das seit vielen Jahren aus Tulpengläsern gezapft und gerne genossen wird; das Logo „Das Margaretner“ ließ ich als Eigenmarke schützen:

Selbst erfundene Sprüche, meist mit Bezug zu Margareten und zum Schlossquadrat, wurden später auf Bierdeckel gedruckt:

Erlebnisgastronomie war in den 1990-er Jahren ein beliebtes Schlagwort. Die „Trophée Gourmet“ des österreichischen Magazins „A la carte“ griff diesen Trend auf und etablierte eine Kategorie „Erlebnisgastronomie“ – Lokale aus ganz Österreich wetteiferten darum, die Auszeichnung zu bekommen.

Im Jahr 1998 erhielt ich die Trophée für Erlebnisgastronomie. Wiens Bürgermeister Michael Häupl gratulierte:

1999: Vom Wirt zum Kaffeesieder

Es blieb aber keine Zeit, um auf diesen Lorbeeren auszuruhen: Im alten Octopusi waren Umbauarbeiten angesagt, die noch tiefer in die Substanz gingen als beim Silberwirt: Das Lokal wurde komplett entkernt, ein neuer Keller ausgehoben.

Um den geplanten Durchgang zwischen den Innenhöfen der beiden Häuser Schlossgasse 21 und Margaretenstraße 77 herstellen zu können, musste ich einen kleinen Teil vom Innenhof des Nachbargrundstücks Hofgasse 2 erwerben, das sich im Eigentum der Stadt Wien befindet. Die Abtretung gelang ohne besondere Mühe.

Dass am Standort des früheren Octopusi wieder ein Lokal eröffnen würde, stellte ich nicht infrage. Ich dachte an ein Kaffeehaus, las viel über die Geschichte der klassischen Wiener Kaffeehäuser und kam zum Schluss, dass die beengte Raumsituation für einen authentischen Vertreter dieses Lokaltyps nicht geeignet sei.

Danach bastelte ich an einem Typus „Café Grill Bar“ mit dem Namen León (denn früher wurden im Schlossquadrat leonische Warten erzeugt, sie wurden im spanischen León entwickelt und dienten als Drahtgeflechte aus Edelmetall für höfische Gewänder).

Lokalname León

Irgendwie überzeugte mich auch dieses Konzept nicht: Die Lokale im Umfeld des Schlossquadrats bestanden zum überwiegenden Teil weiterhin aus sogenannter Altgastronomie, es fehlte jugendlich-modernes Ambiente. Aber auch das Publikum in der Schlossgasse 21 war inzwischen in die Jahre gekommen und es gab Anzeichen, dass „Nachwuchs“ ausbleiben könnte.

In den vergangenen Jahren hatten neue Locations wie die „Summerstage“ auf der Rossauer Lände eröffnet, die Ossi Schellmann gegründet hatte und wo ich fünf Jahre lang als Sommergast mit dabei war. Auch die Gastroszene am Rathausplatz entwickelte sich zu einer beliebten Open-Air-Veranstaltung, wo „man sich traf“.

Das Konzept León schien mir zu stark „retro“. Es musste was Jugendlicheres her.

Diese Überlegungen veranlassten mich zu einer Reise nach Kalifornien, um dort neue Trends zu studieren. In San Francisco stieß ich auf ein boomendes Konzept von hippen „Diners“ mit Burger, Cocktails & Co. Diesen Trend griff ich auf und ergänzte ihn mit Frühstück..

Cafe Cuadro

Das Lokal nannte ich schließlich Cuadro (der Name ist Spanisch und kann mit Quadrat übersetzt werden). Die Bedeutung des Namens findet sich auch im modern gestylten Logo des Lokals wieder:

Im März 1999 war es so weit – das neue Lokal gegenüber vom Brunnen am Margaretenplatz eröffnete.

Oben: Fotos vom neuen Cafe Cuadro.

Der Garten im Innenhof des kleinen Gebäudes und sein uralter Weinstock waren bald beliebt bei den Gästen.

Die erste Speisenkarte bot Espresso aus vier verschiedenen Bohnensorten, Frühstück bis 18 (!) Uhr, zum Essen gab es außerdem klassische und Ethno-Burger, Salate und Tapas. Von 17 bis 19 Uhr war „Happy Hour“ mit vergünstigten Cocktails angesagt. In der Rubrik „Cuadro Cigars“ standen zehn verschiedene Zigarrensorten zur Auswahl (was vermutlich daran lag, dass ich damals noch viel davon paffte).

Speisen und Getränke im Cafe Cuadro

Architekt Klaus Becker schrieb nach der Fertigstellung des Cuadro eine Übersicht über die Gestaltungsgedanken für die bisher errichteten Lokale; der Text findet sich im nachstehenden Link.

Gestaltungsgedanken

Es gab im Cafe Cuadro auch Take-away. Mit großem Aufwand an Zeit und vielen Entwicklungsschritten wurde gemeinsam mit dem Designer Sven Ingmar Thiess eine eigene Verpackung entwickelt, die Cuadro Cuick hieß und als Überverpackung für Speisen und Getränke konzipiert war: Darin war Platz für Burger, Pommes und Getränke; Cuadro Cuick war eine vorgestanzte Kartonschachtel samt Griff auf der Oberseite , mit dem man eine ganze Mahlzeit und offene Getränkebecher transportieren konnte. Der Karton diente nach dem Öffnen als Unterlage zum Essen und Trinken – statt Take Away nannte ich es Take & Eat.

Cuadro Cuick

Die Idee war ein Flop. Warum, weiß ich bis heute nicht. War ich zu früh dran damit? Oder war eine solche Art der Präsentation einfach zu ungewohnt und nicht „gelernt“ und einfach wie der klassische Pizza-Karton?

2000: Das Schlossquadrat hebt ab

Jetzt gab es vier Lokale in einem Häusergeviert: Schlossgasse 21, Hofstöckl, Silberwirt und Café Cuadro.

Das war Anlass genug, um nach einer Dachmarke für das denkmalgeschützte Ensemble und seine Lokale zu suchen. „Schlossviertel“ wäre naheliegend gewesen, aber ich fand, es gebe bereits zu viele „Viertel“ in Wien. Eine Ausnahme davon war das Bermuda-Dreieck.

Eines Abends saß ich mit meinem Grafiker Richard Donhauser und wir sinnierten über einen neuen Begriff. Nach drei oder vier Gläsern vom Williamsbrand (Richard nannte ihn „Willi“) sagte er plötzlich: Schlossquadrat. Und das war es dann auch:

Das Quadrat ist in der obigen Grafik nicht zur Gänze geschlossen (was auch das Schloss Margareten im Mittelalter nicht war), den gelben Pfeil nannten wir den „Kometen“, er symbolisiert ein Ausbrechen aus der sicheren Geborgenheit in die Freiheit. Beide Entwicklungen, das Schlossquadrat und das Margaretner Logo erzielten innerhalb kurzer Zeit eine Bekanntheit, die ich in diesem Tempo nicht für möglich gehalten hätte.

Der bekannte und geschätzte Gourmetkritiker Christoph Wagner lieferte im Jahr 2000 seine persönliche Sicht vom Schlossquadrat – siehe erschien später in einem Buch mit dem Titel „Gusto auf Wien – die 100 besten Restaurants“.

Über das Schlossquadrat

In diesem Jahr feierte ich auch meinen 50-er – mit einer großen Baustellenparty im leerstehenden Erdgeschoß vom Haus Margaretenplatz 2. Es waren rund 700 Gäste anwesend, mit viel Prominenz und Berichterstattung in den Medien.

Eine stattliche Zahl von weiteren Aktionen, Events und Presseaktivitäten trug zu Beginn der 2000-er Jahre zu einem regelrechten Rummel ums Schlossquadrat bei. So kochte der in den USA berühmte Österreicher Wolfgang Puck im Schlossquadrat original Wiener Gulasch – die Sendung wurde in den Vereinigten Staaten mit hohen Einschaltquoten ausgestrahlt – die Kronenzeitung berichtete darüber:

Ein Jahr später drehte Starkoch Johann Lafer im Silberwirt, wie man richtig Schnitzel kocht:

Nachstehender Link führt zu einer Auswahl von Presseberichten über die Lokale im Schlossquadrat:

Presseberichte über Schlossquadrat Events

Fotos von Events zeigt die nachstehende Galerie:

Ich musste mit dem Baubeginn noch ein paar Jahre warten, bis einige für den Umbau wichtige Mietobjekte frei geworden waren. Gab es womöglich nur deshalb so viele Planvarianten, weil ich so lange warten musste? Im Rückblick glaube ich, dass ich mit dem Zuwachs an Erfahrung im gastronomischen Geschäft kritischer und anspruchsvoller geworden bin, vielleicht auch vorsichtiger. Außerdem erschien die Nutzung der genannten Erdgeschoßflächen als harte Nuss. Im Gegensatz zum früher räumlich beengt gewesenen Cafe Cuadro waren am Margaretenplatz 2 an die tausend Quadratmeter Nutzfläche zu ebener Erde verfügbar, dementsprechend vielfältig waren die Möglichkeiten zu ihrer Verwertung. Aber ich musste aufpassen, den gastronomischen Anboten der anderen Lokale damit nicht in die Quere zu kommen.
Dass eine Neupositionierung der Schlossgasse 21 nötig sein würde, war seit längerem klar, denn sie lag vom Konzept her „zu nahe“ am benachbarten Silberwirt; außerdem hatten sich die Ausgehgewohnheiten des Publikums seit dem Jahr 1990 ebenso stark verändert wie das nahe Umfeld.
Eine technische Zielvorstellung des Umbaus im Erdgeschoß war zunächst, die veraltete und zu klein gewordene Küche der Schlossgasse 21 in Richtung Margaretenplatz 2 zu erweitern, dazu mussten Feuermauern durchbrochen werden. Es sollte eine zentrale Vorbereitungsküche mit Kapazitäten für künftiges Catering entstehen. Dafür war aber nur ein kleiner Teil der verfügbaren Fläche nötig (siehe dazu weiter unten).
Für den größten Teil vom Erdgeschoß wurden gemeinsam mit Architekt Klaus Becker in fünf Jahren zahlreiche verschiedene Konzepte überlegt und in Planentwürfe umgesetzt. Darunter war ein moderner Stadtheurigen (Arbeitstitel: Die 5-er Marie), für den ein riesiges Tonnengewölbe im hinteren Trakt des Hauses gut gepasst hätte. Ein anderer Raum mit vier in einem Quadrat angeordneten Säulen würde gut als Lokal für Nachtschwärmer passen, fand ich – womöglich eine Latinobar mit Cocktails und Live-Musik? Die Idee scheiterte an Bedenken wegen der behördlich dafür erforderlichen Notausgänge und möglicher Lärmbelästigungen der Anrainer.
Außerdem ging mir eine Neuauflage eines Lokals mit indonesischer Küche durch den Kopf, denn es gab in Wien mittlerweile zahllose chinesische und japanische Lokale, aber das Angebot an Bali-Spezialitäten war weiterhin rar geblieben. Auch ein Ausbau für Veranstaltungen kam ins Blickfeld, nachdem ich den Wiener Markt analysiert und festgestellt hatte, dass für Events mit 200 bis 400 Gästen keine große Konkurrenz am Markt etabliert war.
Etappen der Planung
Letztendlich wurden die Flächen im Erdgeschoß jedoch für ein Werkstättenzentrum der Margaretner Volkshochschule adaptiert – das passte gut zum Konzept des Schlossquadrats und seiner historischen Entwicklung als gewerblicher Standort. Heute heißt es VHS KunstHandWerk.

2006: Aus der Schlossgasse 21 wird das Gergely’s

Die Küche der Schlossgasse 21 wurde auf Flächen des Nachbarhauses Margaretenplatz 2 erweitert, das Lokal weitgehend neu gestaltet.  Aus dem Studentenbeisel wurde ein gehobenes Abendrestaurant. Im Jahr 2006 eröffnete es unter dem Namen Gergely’s:

Auch der Vorgarten wurde umgestaltet:

2007: Die Pizzeria macht viel Lust, doch der Magistrat macht Frust

Parallel zur Neueröffnung vom Gergely’s liefen intensive Vorarbeiten für ein weiteres Lokal direkt am Margaretenplatz. Es sollte in Italiener werden. Nicht nur der Umbau war aufwendig, sondern auch das behördliche Verfahren zur Betriebsanlagengenehmigung. Ich ließ letztendlich einen gasbetriebenen Pizzaofen einbauen, wollte aber die Option offenhalten, die Pizza auch mit Holzfeuer zubereiten zu dürfen.

Die amtsärztliche Sachverständige war dagegen, weil sie meinte, dass Rußteilchen, die durch den Schornstein ausgeblasen würden, auf einer dere umliegenden Terrassem niedergehen und einen weißen Bademantel verschmutzen könnten und so etwas sei nicht zulässig. Es müsse daher ein eigener Filter für Rußteilchen eingebaut werden.

Dann unterstellte dieselbe Ärztin, dass der Geruch von Pizza durch ein geöffnetes straßenseitiges Fenster entweichen und Bewohner im Stockwerk oberhalb belästigen könne. Die Fenster seien daher geschlossen zu halten. Gegen den Bescheid des Bezirksamtes legte ich Berufung ein und hatte damit Erfolg.

BA-Bescheid Berufung

Die unsinnigen Hürden hätten mir fast die Freude am edlen „Pavimento Veneziano“ vergällt, dem neuen Terrazzoboden des Lokals, der nach uralter Italo-Tradition von einer Firma aus dem Veneto angefertigt wurde. Er besteht aus zahllosen Steinchen, die nach einem – vom Architekten vorgegebenen – Muster in einen Untergrund aus pastöser Masse eingebracht wurden. Als die Masse ausgetrocknet war, wurden die Steine in sieben aufeinander folgenden Gängen zuerst grob und dann immer feiner geschliffen – es resultierte ein fugenloser Boden, wie man ihn von Venedig bis Triest in alten Palazzi findet.

Im Vorfeld der Eröffnung gab es einen Geschmackstest zur Frage, ob man bei einer fertigen Pizza die Art der Zubereitung erkennen kann (also ob sie elektrisch, mit Gas oder mit Holz gebacken wurde). Ich recherchierte Anbieter in Wien, in der Folge bestellten freiwillige Tester, zeitlich koordiniert, in verschiedenen Lokalen dieselbe Sorte Pizza und kamen in einer Art Sternfahrt in den Hof der Schlossgasse 21, wo die Pizzen verdeckt verkostet wurden. Niemand wusste, welche Art der Zubereitung sich gerade auf seinem Teller befand. Das Resultat: Ein Unterschied zwischen Holzofen-, Gas- oder Elektro-Pizza war geschmacklich nicht feststellbar. Wer’s nicht glaubt, kann das Experiment gern wiederholen.

Auch zur Namensfindung stellte ich genaue Überlegungen an. Der Namensteil „Margareta“ war in zweifacher Hinsicht „aufgelegt“: das Lokal befindet sich nicht nur im alten Schloss Margareten, sondern auch in nächster Nähe zur Statue der heiligen Margareta von Antiochia am Margaretenplatz.

Aber ich war nicht sicher, ob das Lokal den Zusatz Osteria, Pizzeria oder Trattoria haben sollte. Eine Erkundungsfahrt durch Oberitalien brachte zwar ein paar Ideen für die Einrichtung, die meisten von ihnen waren eh schon bekannt, aber eine Lösung für die Benennung des Lokaltyps fand ich nicht.

Also ersuchte ich Thomas Schwabl – wie schon so oft in der Vergangenheit – um eine Studie durch sein online-Marktforschungsinstitut. Im nachfolgenden Link ist die Zusammenfassung zur Namensfindung nachzulesen.

Studie Oster Tratt Pizz

Im November 2007 startete das Lokal mit dem Namen Trattoria Margareta und war ohne Anlaufzeit sehr erfolgreich.

Die neue Trattoria Margareta mit Gastgarten im Innenhof.

Vom Grätzl zur Marke

In den 17 Jahren zwischen der Eröffnung der Schlossgasse 21 und dem Start der Trattoria Margareta entwickelten Richard Donhauser und ich zahlreiche Marken, die dem Standort einen unverwechselbaren Auftritt verleihen sollten:

Über den Tellerrand schauen

Im Marketing für die Lokale im Schlossquadrat ging es aber nicht nur ums Essen und Trinken. Kunst im Wirtshaus und Gastgarten war mir ebenso ein Anliegen wie die Teilhabe am öffentlichen Leben und das Engagement für wohltätige Zwecke. Einen Überblick gibt nachstehende Collage:

2010: Gegen Trennwände in Lokalen

Anfang der 2010-er Jahre mobilisierte ich gegen ein grottenschlecht formuliertes Tabakgesetz, das eine räumliche Trennung größerer Gastlokale in Raucher- und Nichtraucherbereiche vorsah und größeren Lokalen erhebliche Baukosten aufhalste. Ausführlicheres dazu im Beitrag „Aufmüpfiger“.

Ich wetterte vehement gegen die Errichtung von Mauern und die dadurch entstehende Zweiklassen-Gesellschaft von Rauchern und Nichtrauchern. Siehe das folgende Interview:

In einer Pressekonferenz wurde eine Verfassungsklage präsentiert. Das mediale Echo war beachtlich.

Im Endeffekt waren die Aktionen freilich ein Rückzugsgefecht: Seit 1. November 2019 ist das Rauchen in der österreichischen Gastronomie verboten. Damit war auch der Aufwand für die zuvor errichteten Trennwände in den Lokalen für die Katz‘.

2016:
Es ist das Bauen und Gestalten
mir lieber als es zu verwalten.
Drum wird es irgendwann im Leben,
auch an der Zeit zum Übergeben.

Nach Fertigstellung der Lokale Trattoria und Gergely’s war im Schlossquadrat nichts mehr zu erweitern. Ich ging meiner Pension entgegen und bereitete einen Rückzug in Etappen vor.

Wem immer ich im Bekanntenkreis über das Vorhaben berichtete, der schüttelte den Kopf, lächelte milde oder lachte mich gar aus: „Das machst Du nie!“, war der Tenor.

Die Skeptiker sollten recht und unrecht zugleich behalten:

Für die Lokale im Schlossquadrat begann am 1.1.2009 ein Franchise-Vertrag, den ich mit meinen langjährigen Mitarbeitern Rudolf Kirschenhofer und Jürgen Geyer abschloss; die gewerblichen Apartments betrieb ich einstweilen noch weiter. Damit war ich aus einem Teil des operativen Geschäfts draußen, hatte mich aber weiterhin um das Dachmarketing sowie um wichtige Fragen der Unternehmensführung zu kümmern.

Der zunächst auf drei Jahre befristete Vertrag wurde mit Ablauf um weitere drei Jahre verlängert.

 

Stefan Gergely mit Restaurantleiter Jürgen Geyer und Küchenchef Rudolf Kirschenhofer.

Im Jahr 2015 verhandelte ich mit Kirschenhofer und Geyer über den Verkauf des gastronomischen Unternehmens samt den Apartments an beide. Der Vertrag wurde im Dezember 2015 unterfertigt und trat mit 1. Jänner 2016 in Kraft. Seither bin ich nicht mehr Eigentümer der touristischen Betriebe und konzentriere mich auf die Vermietung der Wohnungen und Geschäftsräume im Schlossquadrat.

An dieser „Front“ haben die Skeptiker also nicht recht behalten, mein Rückzug aus der Gastronomie im Schlossquadrat erfolgte in der Tat. Im Jahr zuvor hatte ich meinen 65. Geburtstag gefeiert und war nunmehr offiziell im Ruhestand.

Vom Wirt zum Landwirt

Ab dem Jahr 2012 kam jedoch ein landwirtschaftliches Vorhaben ins Blickfeld: In Guntrams 11 bei Schwarzau am Steinfeld hatte ich nämlich von der Mutter ein Grundstück mit Wochenendhaus, Wirtschaftsgebäude und rund drei Hektar Wiesen, Feldern und Obstbäumen geerbt. Was damit später passierte, berichtet das Kapitel „Landwirt“ auf dieser Webseite.